Christoph L. hat einen alten Radiowecker. Der war billig und funktioniert seit Jahren. Doch Christoph L. hat ein Problem: Deutschlandfunk knarrstund rauscht. Um die interessanten Gesprächsgäste hören zu können, ist es mal erforderlich, den rechten Arm zu heben, mal ist der Empfang besser, wenn das linke Bein aus dem Bett gestreckt wird. Wir testen: Ist Christoph reif für Digital Radio?
Sich mit dem gesprochenen Wort im Deutschlandfunk wecken zu lassen? Bei dem Gedanken werden meine Augenlider schwer. “Das bringt mein Hirn in Schwung, gibt mir einen Schubs in den Tag und motiviert mich, den Alltag anzugehen", verteidigt sich unser Versuchsopfer. “Immer her mit den digitalen Muntermachern", ruft er in Vorfreude auf ungetrübten Hörgenuss.
Sangean DCR-9
Zuerst stellen wir ihm den Sangean DCR-9 vor die Nase. Für Bonn (NRW) reicht die reine Band-III-Version. Bei einer konkreten Kaufempfehlung würden wir zur Band-III- und L-Band-Version unter der Bezeichnung DCR-209 raten, weil die Zukunft durchaus ein L-Band-Angebot für den Raum Köln/Bonn bringen könnte. UKW-Empfang ist beim Sangean DCR-9 aber mit an Bord.
Der erste Eindruck ist positiv. Ein kompaktes, gut verarbeitetes Gehäuse mit integriertem Netzteil kommt aus dem Karton zum Vorschein. Die Front des DCR-9 besteht aus einer Acrylglasplatte, die links und rechts durch säulenartige Gehäuseecken aus verchromtem Kunststoff eingerahmt wird. Die Teleskopantenne ist auf der Geräterückseite an einen Antennenstecker geschraubt. Sogar ein kleiner Schraubenschlüssel zum Lösen der Antenne liegt dem Radio bei und erlaubt eine Demontage der Antenne, ohne mit der Zange das Gehäuse zu verkratzen.
Die Hintergrundbeleuchtung für das riesige, informative Display lässt sich nachts herunterdimmen oder ganz abdrehen. Im Stand-by-Betrieb ist das Display ausschließlich für die Uhrzeitanzeige vorgesehen. Die Uhr wird per DAB funkgenau synchronisiert. Dafür bleibt das DAB-Modul auch im ausgeschalteten Zustand des Radios noch im Betrieb.
Klingt ordentlich
Wer den Test des Reiseradios DPR-215 noch im Kopf hat, fragt natürlich nach dem Klang. Die Antwort lautet: Der DCR-9 kommt an die Modelle DPR-15/DPR-215 nicht heran. Der Lautsprecher macht den Unterschied. Beim Verstärker, da sind wir uns sicher, werkelt in beiden Radios die gleiche Schaltung und Abstimmung. Im Kopfhörerbetrieb war erneut der verräterische “Bass-Bums" zu hören, der den Lautsprecherklang optimiert. “Für ein Uhrenradio klingt das schon ordentlich", lautete dann auch das Urteil unseres Testschläfers. Doch die Klangfarbe wirkt etwas hohl und topfig. Der Lautsprecher überzeugt jedoch immerhin mit einer guten Sprachverständlichkeit bei niedrigen Lautstärkepegeln.
Weckfrust statt Radiolust
Nach den ersten drei Wecktagen ist Christoph leider nicht mehr so begeistert: “Am ersten Tag wurde ich durch den Summer aus dem Schlaf gerissen. Wenn man im Alarmmenü ist, rechnet man doch nicht damit, dass die Wahl zwischen Summer und Radio woanders abgelegt ist." Den Einwand, wer eine Bedienungsanleitung lesen könne, sei vermutlich im Vorteil, lässt er nicht gelten: “Mann, ich will einfach einen Wecker, der ohne Programmierkenntnisse weckt."
Grün geärgert?
Doch damit ist die praktische Manöverkritik am Objekt noch nicht beendet: “Das ganze Schlafzimmer ist grün”, macht Christoph seinem Ärger Luft. “Unmöglich”, muss ich widersprechen, “die Displaybeleuchtung ist doch bis auf null dimmbar!” In der Praxis ist schon Leuchtstufe eins störend hell. Bei Stufe Null ist das Schlafzimmer zwar wieder schwarz wie die Nacht, doch dann kann man auch nicht mehr die Uhr ablesen.
“Nicht so günstig ist die Anbringung der Lautstärkeregler auf der Gehäuseoberseite zwischen den Stationstasten”, findet Christoph. Wer die Lautstärke, frühmorgens, am noch so jungfräulichen Tage dringend senken möchte, irrt ziellos mit der Hand auf der Gehäuseoberseite umher und verstellt zielsicher den Sender, bis die Lautstärketasten gefunden sind. Bei wem, außer bei unserem Tester, steht der Radiowecker schon unten auf dem Teppichboden?
Pure Tempus-1
Unseren Tester erlösen wir vom DCR-9 und servieren stattdessen eine Lösung von Pure, den Tempus 1, einem Weckexperten, der in Sachen Empfangstechnik dem Pure Erfolgsmodell Evoke-1 entspricht. Eine helle Ahorn-Holzzarge mit einer matten Aluminiumfrontplatte spielt perfekt auf der unverändert angesagten Retro-Welle. Auch dieses Gehäuse wirkt hochwertig. Auf der Rückseite gibt es sogar einen Line-Ausgang, einen optischen Digitalausgang sowie einen USB-Anschluss zum Einspielen von Software-Updates.
Auf der Unterseite ist ein Loch im Gehäuse, vom dem aus ein Bassreflexrohr in das Innere ragt. Um den besten Klangeindruck zu erzielen, sollte man das Gerät nicht auf eine allzu flauschige Nachttischdecke stellen. Obwohl das Gehäuse recht kompakt ist, erinnert das Tempus-1 von seinem Format her eher an ein Tischradio und weniger an einen Radiowecker.
Beim Klangeindruck kann das Tempus-1 gefallen. Trotz Bassreflexöffnung klingt der Pure-Empfänger zwar mittenbetont, aber doch luftig und ausgewogen. “Klingt sehr angenehm”, findet unser Tester. Die gute Sprachverständlichkeit bei niedrigen Lautstärken kann man dem Tempus-1 ebenfalls gutschreiben. Auch im Kopfhörerbetrieb weiß das Radio aus England zu überzeugen, denn da klingt das Tempus-1 ausgeglichen und gelöst.
Ein Weckradio der Extraklasse
Und, Christoph, wie weckt es sich denn? “Naja”, nörgelt unser Morgenmuffel. “Ein mechanischer Lautstärkeregler an der Vorderseite und eine Weckzeiteinstellung über ein flink ansprechendes Drehrad, das vor- und zurücksausen kann, ist ja eigentlich nicht schlecht.” Eine Weckpanne musste unser Testschläfer dennoch einstecken. Christoph, ein Softwareentwickler, hatte eine wesentliche Kleinigkeit übersehen, die manch einem stolzen Tempus-Besitzer zum Verhängnis werden kann: Wer die Weckzeit nur eine glatte Stunde vor oder zurückstellt, muss unbedingt die unveränderte Minutenzahl bestätigen, andernfalls wird die neue Weckzeit nicht übernommen.
Dennoch ist das Bedienkonzept eingängig: “Man kann ja mit Domian auf Einslive einschlafen und mit dem Deutschlandfunk geweckt werden. Am Wochenende kann man sich problemlos mit einem anderen Sender wecken lassen”, schwärmt Christoph. Und wie leuchtet das Schlafzimmer? “Gar nicht”, lässt der lichtabstoßende Testschläfer durchblicken. Das Display ist kleiner, zeigt aber weiße Schrift auf tiefblauer Grundfarbe, was schon einmal weniger Leuchtkraft hat. “Trotzdem handelt es sich hier um eine störende Hinterleuchtung, die sich aber ganz ausschalten lässt”, erklärt er. Und die Uhrzeit, mein Lieber? Wie liest man dann die Uhrzeit ab? “Da kommt das nächste coole Feature ins Spiel: das Snooze-Handle”, triumphiert unser Schlafbrillen-Besitzer. Während der berührungsempfindliche obere Gehäusegriff dazu ersonnen wurde, um mit einem Handwischen noch ein paar Minuten extra schlummern zu können, lässt sich mit einem kurzen Berühren des Griffs auch für einige Sekunden die Displaybeleuchtung anschalten, um die Uhrzeit abzulesen. Na bitte, geht doch.
UKW muss noch drin sein
Perfekt geweckt? Schon, aber der Tempus-1 hat auch ein paar Schattenseiten. Das Gerät kostet 159 Euro und bietet ausschließlich DAB-Band III, hat aber keinen UKW-Empfang. “Man kriegt hier zehn Sender oder so. Noch nicht einmal SWR 3 ist zu empfangen. Ehrlich, das ist mir dann doch zu teuer”, muss Christoph gestehen. Was den fehlenden UKW-Empfang betrifft, ist Abhilfe zu erwarten. Nachdem der Evoke-1XT Tri-Band mit Band III-, L-Band- und UKW-Empfangsteil erschienen ist, werden die übrigen Modelle sicherlich schon bald folgen.
Wer ist der Empfangsmeister?
Das bringt uns zu einem Vergleich der Empfangsleistungen. Bislang hat nur der Sangean DPR-215 das Rheinland-Pfalz-Ensemble in Christophs Wohnung ohne Zusatzantennen empfangen. Daran kann der DCR-9 nicht anschließen. Auf Nachfrage bestätigt der Hersteller, dass der verwendete Dualband-DAB-Chipsatz, wie er im DPR-215, DDR-203 und dem Schwestermodell DCR-209 zum Einsatz kommt, ein kleines bisschen mehr Empfindlichkeit bringt als der ältere Chip in den reinen Band-III-Modellen. In der Redaktion hat der DCR-9 das pfälzische Ensemble immerhin an der Teleskopantenne ausgelesen. Das bescheinigt auch dem DCR-9 eine ordentliche Empfangsleistung. Es kommt hinzu, dass auch der verbaute UKW-Empfänger einen ausgesprochen soliden Eindruck machte. Die ordentliche Trennschärfe verbindet sich mit einer brauchbaren Empfindlichkeit, die den Vergleich zu einem 39-Euro-Radiowecker wie eine Majestätsbeleidigung wirken lässt. Für 139 Euro, soviel kostet der DRC-9, darf man eine gute Vorstellung wohl auch erwarten. Im Vergleich zu anderen DAB-UKW-Kombi-Empfängern sollte man noch die empfindlich auslesende RDS-Radiotext-Funktion lobend erwähnen, doch zugleich einschränken, dass die Umlautedarstellung weder beim UKW-Radiotext (RDS) noch bei dem DAB-Radiotext (Dynamic-Label) vernünftig funktioniert.
Der Pure Tempus-1 kann bei der Empfangsleistung mit seinem koreanischen Widersacher gut mithalten. Auf der Teleskopantenne war allerdings in der Redaktion keine Auslesung des benachbarten DAB-Ensembles zu erreichen. Der Unterschied in der DAB-Empfindlichkeit ist in der Praxis aber als vernachlässigbar gering zu bewerten.
Fazit
Um es auf eine knappe Formel zu bringen: Beide Apparate sind ordentliche DAB-Radios, aber der Pure Tempus-1 ist der bessere Wecker.
Beim Tempus-1 ist die flinke Drehknopfsteuerung ein Gedicht. Von den innovativen Weckfunktionen ganz zu schweigen. Wenn der Tempus erst einmal mit dem brandneuen Triband-Chipsatz zu haben sein wird, ohne beim Preis nennenswert zuzulegen, dürfte gegen dieses Weckradio kein UKW-Wecker mehr eine Chance haben.
Der DCR-9 ist ein schickes Radio für den Schreibtisch. Für einen Radiowecker ist er bei der Bedienung nicht ganz zu Ende gedacht, versöhnt dafür aber mit ordentlichem UKW-Empfangsteil.