Der 16. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) erzürnt die Gemüter bei den Vorreitern der bisherigen Digitalisierungsversuche des Radios in Deutschland. Vom Bremsanker gegen die von ARD, Deutschlandradio und Privaten getragene DABplus-Digitalisierungsinitiative profitieren Systeme, deren vermarktbare Mehrwerte wohl erst noch erfunden werden müssen.
Stein des Anstoßes ist eine Kürzung von 166 Millionen Euro in den Jahren 2009 bis 2012 für das Projekt DAB, die die KEF [1] kurzerhand vorgenommen hat, weil sie zu dem Ergebnis kam, dass „eine Fortführung der DAB-Finanzierung nicht in Frage kommt“. Weder die Zahl der DAB-Empfangsgeräte habe sich signifikant vergrößert, noch sei eine Abstimmung mit den privaten Programmanbietern erreicht worden. Dabei habe man von 1997 bis 2008 insgesamt 179,5 Millionen Euro für DAB bewilligt.
Die Landesrundfunkanstalten der ARD und das Deutschlandradio wollten von 2009 bis 2012 noch einmal massiv in den neuen DAB-Standard DABplus [2] investieren, insgesamt 188,4 Millionen Euro. Mit diesen Mitteln soll erstmals ein bundesweit empfangbares DAB-Programmpaket zusammen mit zwei Landespaketen in die Luft entlassen werden, um das Haupthemmnis der DAB-Radioverbreitung, ein wenig anziehendes Programmangebot, endgültig aus dem Weg zu räumen. Zugleich war die Erhöhung der Sendeleistungen geplant, um einen ordentlichen Zimmerempfang zu erreichen.
Mit UKW-Abbildung gescheitert
„Das bisherige DAB-System bildet“, so der KEF-Entscheid, „die Hörfunklandschaft des UKW-Zeitalters ab. Eine erfolgreiche Digitalisierung des Hörfunks ist nach Einschätzung der KEF mit diesem Ansatz nicht mehr zu leisten.“ Der Entwurf der deutschen Hörfunker - weg vom UKW-Simulcast, hin zu neuen Programmangeboten - scheint die KEF-Expertengruppe geflissentlich ignoriert zu haben. Zudem monieren die Sachverständigen der KEF, dass die geforderte Absprache zwischen der ARD und den Privatradioverbänden zu spät einging und der VPRT [3] die so genannte „Mainzer Erklärung“ [4] nicht mit unterzeichnet habe. Die Begründung der Enthaltung durch den VPRT wird im KEF-Bericht schlicht unter den Teppich gekehrt. Der Vizepräsident Radio und Audiodienste des VPRT, Hans-Dieter Hillmoth erklärt reinHÖREN auf Anfrage: „Wir sind mit den ARD-Kollegen organisatorisch und technisch d´accord, was die nächsten Schritte hin zur Radio-Digitalisierung angelangt. Also der versprochene Big Bang, mit drei DABplus-Multiplexen zu Beginn - davon einer national und zwei regional. Wir hatten jedoch den Eindruck, dass unsere Unterschrift vor allem verlangt wurde, um damit bei der KEF mehr Mittel für die ARD herauszuschlagen.“ Dabei argumentiert der VPRT seit vielen Jahren, die üppige Finanzausstattung der ARD verzerre den Markt in ungerechter Weise zu Ungunsten der privaten Programmveranstalter. Mit dieser Begründung, die nicht mehr als eine kurze Nachfrage erforderte, hätte die KEF eigentlich zufrieden sein müssen.
Digitalradio ist längst da
Im KEF-Bericht heißt es auch, als DAB entwickelt wurde, habe noch niemand an Internetradio, Satellitenradio, Radio über DVB-T, Mobile Broadcast, MP3-Player und Podcast gedacht. In der Sache ist das allerdings nicht ganz korrekt, denn Satellitenradio hatte auch damals bereits seine Freunde, die meisten zwar noch analog, aber die Digitalisierung war mit den digitalen ADR-Programmen bereits 1995 präsent; mit MP3-Playern und Podcasts wird eine abweichende Mediennutzung als Begründung für eine Entscheidung herangezogen, deren Ursache im inhaltlichen Übel der meisten Radioprogramme zu suchen ist.
Erhaltungsgelder für DAB
Mittel wurden von der KEF daher nur in einer Größenordnung anerkannt, die den Betrieb der DAB-Sender über die aktuelle Gebührenperiode hinaus ermöglicht. Eine inkonsequente Haltung, wenn DAB als Verbreitungsweg nicht in den Bestand übernommen wird. Warum noch für ein nicht weiter ausbaufähiges Rudiment 22,5 Millionen in die Grabpflege investieren? Die Summe ermöglicht bei im Mittel 300.000 geschätzten DAB-Radios eine Entschädigung von 75 Euro pro DAB-Radio.
Gerne frisches Geld, aber nicht für DAB
Eine Summe von 42 Millionen Euro hat man für ein neu zu beantragendes Entwicklungsprojekt zum Digitalen Hörfunk veranschlagt, denn ganz tot soll die Digitalisierung des Hörfunks in Deutschland denn doch nicht sein.
Von einem technischen Neustart spricht die KEF und verlangt, dass sich die Sender den gewählten Standard bei ihr absegnen lassen. Dabei schließt die KEF alle Neustartversuche mit DABplus oder DMB - und damit ganz gezielt die DAB-Technikfamilie - bereits im Vorfeld aus: „Die Einführung einer neuen Audiocodierung und die daraus resultierende Weiterentwicklung von DAB zu DAB+ oder die Nutzung von DMB würden die Situation nicht grundsätzlich verändern“, befinden die KEF-Sachverständigen. Nun könnte man vielleicht auf einen Förderansatz mit einem flächendeckenden DVB-T-Sendernetz [5] spekulieren oder auf bundesweite DVB-H-Versorgungen [6], aber diametral neue Nutzungsmöglichkeiten und Kundenmehrwerte lassen sich auch mit Sendernetzen der DVB-Technikfamilie nicht erzeugen. Zudem besteht die Gefahr der Isolation. In der Schweiz [7] und in Dänemark [8] ist die DAB-Radiodigitalisierung schon auf der Erfolgsschiene, Frankreich strebt zügig eine Radiodigitalisierung mit DMB [9] an. Wäre ein deutscher DAB-Ausstieg realistisch? Von einem solchen Szenario profitiert allenfalls HD-Radio [10]. Die Amerikaner drängen mit ihrer Idee der sanften und schleichenden Migration von UKW auf digitale Inhalte nach Europa, und haben Marketingbudgets, zu denen sich die 188 Millionen Euro DAB-Förderung wie ein Taschengeld ausmachen.
ARD und Private wollen DAB+
Die ARD kann sich mit dem KEF-Bescheid nicht anfreunden. In der Vergangenheit habe man basierend auf den gemeinsamen Entscheidungen von Bund, Ländern und nicht zuletzt der KEF selbst, erhebliche Beträge in die digitale terrestrische Hörfunkverbreitung investiert. Die mit diesen Mitteln errichtete Infrastruktur und Sendernetze würden letztlich obsolet, die Investitionen müssten in Gänze abgeschrieben werden.
Da sich der öffentlich-rechtliche und der private Rundfunk in Deutschland auf einen Neustart des digitalen terrestrischen Hörfunks ab 2009 auf Basis der DAB-Systemfamilie verständigt hat, sieht Herbert Tillmann, Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission, kein Grund für einen technologischen Schwenk: „ARD, Deutschlandradio und Private gehen unverändert von einem Erfolg des verabredeten Neustarts von Digitalradio in 2009 aus. Wenn die KEF-Empfehlung keinen technologischen Scherbenhaufen hinterlassen soll, dann sind jetzt Lösungen zu entwickeln, die eine aktive Beteiligung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ermöglichen.“
Die ARD ist unbeirrt davon überzeugt, dass sich Digitalradio auf Basis der DAB-Systemfamilie durchsetzen wird. Sie fordert die für Medienpolitik und Technologie Verantwortlichen auf, diesen Bestandteil der KEF-Empfehlungen in einen konstruktiven Ansatz umzuwandeln.
Technologie-Chaos und Vertrauensverlust
Bei den Interessenvertretern des digitalen Hörfunks, der Initiative Marketing Digital Radio (IMDR) [11], befürchtet man ein Technologie-Chaos, wenn man sich nach den KEF-Empfehlungen richten würde. Die Digitalisierung des Hörfunks sei ohnehin nicht mehr aufzuhalten, wäre aber ohne den öffentlich-rechtlichen Hörfunk deutlich erschwert.
Die Automobilindustrie setzt auf Digital Radio DAB für den Datentransport in die Fahrzeuge, beispielsweise für eine deutlich verbesserte Navigation. Tatsache ist, so die IMDR, dass die Digitalisierung der Hörfunkverbreitung einen langen Zeitraum und das Zusammenwirken verschiedenster Beteiligter erfordert. Für dieses Zusammenspiel sind verlässliches Handeln und transparente Entscheidungsverfahren unerlässlich. Obwohl die Empfehlung der KEF nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unmittelbar betrifft, hat diese massive Auswirkungen auf alle übrigen Beteiligten. Ohne die „Sendungskraft“ der ARD, wird die Kundengewinnung für das Digital Radio ein mehr als mühsames Unterfangen.
Mit der Forderung nach Verlässlichkeit und Transparenz stehen die Digitalradio-Lobbyisten nicht allein da. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie hat sich für DAB eingesetzt [12], die deutschen Fahrzeughersteller bieten verstärkt DAB-Autoradios in der Erstausrüstung an und den 18,4 Millionen Lesern der ADAC-Motorwelt wurde das Thema DAB-Autoradio ebenfalls bereits an Herz gelegt [13]. Ein DAB-Rückzieher wird die Vermarktung jeden neuen Ansatzes zur Radio-Digitalisierung stark belasten.
Mehr Informationen: (Sorry, nach dem Relaunch stehen die Quellenlinks vorübergehend nicht zur Verfügung, aber wir arbeiten dran!)
[1] Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten
[2] DABplus in rein-hoeren.de:
Neuer Audiocodec für DAB
Big Bang für Digitalradio
Big Bang for Big Business
[3] VPRT
[4] Mainzer Erklärung
[5] DVB-T-Ausbaupläne
[6] DVB-H
[7] Digitalradio Schweiz
[8] DAB in Dänemark
[9] Digital Radio in Frankreich
[10] HD-Radio
[11] Initiative Marketing Digital Radio (IMDR)
[12] VDA
[13] ADAC-Online