Im Zusammenhang mit der KEF-Entscheidung, die Fördermittel für DAB auf ein Existenzminimum zusammen zu kürzen, ist vor allem ein Mann in das Fadenkreuz der Digitalradio-Aktivisten geraten: Professor Dr. Ulrich Reimers. Ihm wird unterstellt, die Entscheidung der Kommission gelenkt und der Glaubwürdigkeit der Institution KEF großen Schaden zugefügt zu haben. Was ist dran an den Vorwürfen?
Wahr ist: Das Radio ist nicht das Medium des Professor Dr. Reimers und DAB ist nicht sein System. Die ganze Karriere des Professors der TU Braunschweig kreist um das Fernsehen und um den DVB-Standard. Er war Mitinitiator des europäischen DVB-Projekts und hat mit dem Erfolg der DVB-Systemfamilie in Europa nicht nur in Deutschland das Thema Digitalfernsehen vorangebracht. Der „Vater des Digitalfernsehens” ist für seine Arbeit international mit so ziemlich jedem Preis dekoriert worden, der im Bereich Exzellenz der Ingenieurswissenschaften ausgelobt wird. Wahr ist auch: Eigentlich braucht Deutschland mehr vom Schlage eines Prof. Dr. Ulrich Reimers, denn viel zu wenigen deutschen Forschern und Ingenieuren gelingt es, aus einer technischen Idee, ein marktgängiges Konzept zu schmieden.
Der Umstand, dass Professor Dr. Ulrich Reimers in der Arbeitsgruppe 4 der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten, Sitz und Stimme in eben jenem Gremium besitzt, das über die Vergabe von Investitionsgeldern entscheidet, hat ihn ins Fadenkreuz der Kritik gerückt. 1994 wurde er vom Land Niedersachsen in die KEF berufen. Bereits seit 1992 ist er Vorstandsmitglied der Deutschen TV-Plattform. Bei den terrestrischen Verbreitungskanälen für das digitale Fernsehen ist die DVB-Standardfamilie natürlich die Nummer 1. Die TV-Plattform ist der ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V.) zugeordnet und hat daher eine sehr gute Vernetzung zu den Geräteherstellern. Eine Lobbygruppe, die dem Digital-TV den Weg in den Massenmarkt ebnen soll, ist die Plattform allemal, auch wenn das hierzulande eher negativ belastete Wort Lobbyarbeit so nicht in den Statuten erwähnt wird.
Wie unabhängig und sachverständig ist die KEF?
Damit lautet die drängende Eingangsfrage, ob – abseits der unbestrittenen Fachqualifikation – Prof. Dr. Ulrich Reimers als Sachverständiger für die KEF überhaupt in Frage kommen konnte. Zu allem Überfluss kokettiert die Kommission mit der Selbstbeschreibung, die Finanzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Gremium unabhängiger Sachverständiger zu durchleuchten.
Voraussetzung für die Tätigkeit als Sachverständiger ist die „besonderen Sachkunde”. Welche Sachkunde benötigt ein KEF-Mitglied? Das können ganz unterschiedliche Kriterien sein: Ein Jurist, der sich im Bereich des deutschen Medienrechts auskennt, ein Betriebswirtschaftler, der weiche und unstimmige Zahlen entlarvt, oder eben auch ein Experte, der die technischen Hintergründe der Digitalisierung versteht. Weiterhin ist der Begriff Sachverständiger nicht klarer definiert. Jeder Sachkundige kann demnach Sachverständiger sein, wenn seine Tätigkeit nicht gegen die Regeln des unlauteren Wettbewerbs verstößt.
Kann Professor Dr. Ulrich Reimers aber als unabhängiger Sachverständiger gehandelt werden? „Es gibt hier kein starres Bewertungsgerüst, an dem wir diese Frage objektiv messen könnten”, erklärt Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland. Zur Vorbereitung auf ein Gespräch mit reinHÖREN, befasste er sich mit der KEF, ohne allerdings zu wissen, auf welche Person sich unsere Frage bezieht. Als wir den Namen Prof. Dr. Ulrich Reimers erwähnten, wunderte er sich nicht: „Genau dieses KEF-Mitglied ließ mich beim Studium aufmerksam werden.” Dennoch möchte Humborg hieraus keine Schlüsse über eine Eignung als unabhängiger Sachverständiger ziehen, dies sei eine Frage, die von Fall zu Fall entschieden werden müsse.
Im Fall der KEF müsste wohl die Rundfunkkommission der Länder klare Leitlinien definieren.
Es dürfte kaum Zweifel geben, dass Prof. Dr. Ulrich Reimers innerhalb der Arbeitsgruppe 4, die den Beschluss der DAB-Mittelstreichungen fasste, im Bereich der reinen Sachkunde tonangebend gewesen sein wird. Die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe 4 besitzen keinen derartigen fachlichen Hintergrund, der es ihnen aus eigener Kraft ermöglicht hätte, den mangelhaften Fortschritt bei der Digitalisierung des Hörfunks sachneutral auf seine wahrscheinlichen Ursachen zurückzuführen. Das kann man den Teilnehmern der Arbeitsgruppe, dem Dipl.-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Ulrich Horn, dem Dipl.-Ing. Otmar Haas, Vermessungsingenieur, Beratungsexperte im Bereich Infrastruktur sowie dem Leiter der Arbeitsgruppe 4, dem Juristen Volker Hartloff, Präsident des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz a. D., nicht zum Vorwurf machen. Trotz hoffentlich gewissenhafter Auseinandersetzung mit der komplexen und vielschichtigen Thematik der DAB-Einführung, wäre niemand in der Lage gewesen, einer gut vorbereiteten und überzeugend dargebotenen Präsentation der Problemstellung Paroli zu bieten, oder realistische Gegenszenarien zur Diskussion zu stellen.
Widersprüche und Verteidigungsargumente
In der Folge nehmen die Teilnehmer der Gruppe 4 nun eine Verteidigungsposition ein: „Das Projekt DAB ist gescheitert. Wir haben deshalb nur begrenzte Mittel bewilligt. Dafür haben wir – entgegen der sonstigen Systematik der KEF - zusätzliche Mittel in Aussicht gestellt, für ein neues Digital Radio Projekt”, diktiert der Arbeitsgruppenleiter Volker Hartloff in unseren Notizblock. Das dieses neue Projekt Digital Radio vorzugsweise ein Handy- und/oder DVB-gestütztes Konzept sein soll, will Hartloff entgegen der Ausführungen der KEF so nicht verstanden wissen: „Die Nichtgewährung der beantragten Fördermittel bezieht sich nur auf DAB-alt. Die neuen Fördermittel können aber mit einem klaren Konzept beantragt werden, wobei die Wahl der technischen Plattform nicht Entscheidung der KEF ist. Das kann also auch DABplus sein.”
Die positiven Fakten der Frequenzzuteilung und Sendeleistungserhöhung waren der Kommission offenbar bekannt. Die Mainzer Erklärung galt hingegen als unzureichend: „Hinterher konnte man in der Presse lesen, die Privaten wären alle dabei gewesen”, ärgert sich Hartloff, doch tatsächlich wäre das Dokument nur von ARD, Deutschlandradio und der „BLM” (Bayerische Landesanstalt für neue Medien) unterschrieben worden. Bei Letzteren trügt Herrn Hartloff die Erinnerung, denn die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) hat die Erklärung mit unterzeichnet während der VPRT gewichtige verbandspolitische Gründe hatte, sein Signet zu verweigern. Auf die Frage nach der Bewertung der zaghaften aber doch klar messbaren DAB-Erfolge in Dänemark und der Schweiz kontert Hartloff mit dem Beispiel des DAB-Ausstiegs in Finnland. Ein denkbar schlechtes Beispiel, wollten die Finnen doch ganz wenige Programme in maximaler Bitrate aussenden, um wenige Klangpuristen zu beglücken und ist Finnland doch „Nokia-Land”. Der einflussreiche Industriekonzern stellt seine glasklare Präferenz für DVB(-H) europaweit zur Schau und erzeugt dabei eine Bugwelle, die bis nach Brüssel schwappt.
Volker Hartloff verteidigt den Entscheidungsweg der Kommission: „Ich möchte hier ganz klar feststellen, dass die Entscheidung zur Streichung der DAB-Fördermittel einstimmig beschlossen wurde und auch von allen Beteiligten mitgetragen wird”, stellt Hartloff klar und macht seinem Unmut über die aktuelle Berichterstattung Luft: „Ich ärgere mich darüber, dass Professor Reimers so unter Beschuss geraten ist. Die erhobenen Vorwürfe entsprechen nicht den Tatsachen.”
Auch andere KEF-Mitglieder verteidigen den Kurs der Streichungsempfehlung. Darunter Professor Dr. Thomas Hirschle. Hirschle wirkte als Präsident der Landesanstalt für Kommunikation in Baden-Württemberg zwischen 1997-2005 und hat die Fallstricke der DAB-Markteinführung aus nächster Nähe verfolgt. Den Schluss, die KEF habe in Ihrer Begründung auch DAB+ eine Absage erteilt, hält Hirschle für eine Fehlinterpretation, sieht aber noch wesentliche Fragen unbeantwortet: „Es gibt für den Neustart mit einer anderen Technologie keine Geräte für die Hörfunknutzung am Markt”, mahnt Hirschle. Die in Aussicht gestellten zusätzlichen Mittel sind ein Beleg dafür, dass die KEF die „Digitalisierung des Hörfunks uneingeschränkt unterstützt”. „Insgesamt”, so Hirschle weiter, „hat die KEF mit ihrem 16. Bericht alles getan, was ihr möglich ist, um die Digitalisierung des Hörfunks voranzubringen.”
DVB-H ist die Zukunft?
Die Kommission versucht, ihre Empfehlungsentscheidung auf einen schlampigen Mittelantrag von Deutschlandradio und ARD zurückzuführen, um den Eindruck, auf technologiepolitische Entscheidungen Einfluss nehmen zu wollen, zu zerstreuen. So ganz gelingt das jedoch nicht. Wie die Frankfurter Rundschau berichtet, liegt die digitale Radiozukunft nach Ansicht des KEF-Vorsitzenden Horst Bachmann im DVB-H-Standard. Man muss sich fragen, wie der Bonner Rechtsanwalt zu dieser Schlussfolgerung gekommen sein kann? Wen kann es wundern, wenn die Vermischung der Personalie Reimers mit einer DVB bevorzugenden Empfehlung schnell zum medialen Faulschlamm gärt?
Sollte es wirklich einen „Reimers-Coup” in der Kommission gegeben haben, dann war er für beiläufige Beobachter eine Überraschung. In keinem seiner zahllosen Vorträge und Interviews der vergangenen Jahre ist von Dr. Ulrich Reimers eine Kritik zu vernehmen, Digital Radio mit DAB digital umzusetzen. Die Diskretion zahlt sich heute aus. Ende 1999 sprach er für die BLM/APR sehr sachbetont über die Möglichkeit, Radio mit DVB-T zu veranstalten. Im Jahre 2001 meinte er in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass DAB ins Fliegen kommen wird.” 2004 spricht er auf dem Symposium der TV-Plattform und prognostizierte: „Gehört der TV-Empfänger im Smartphone zum Individuum, ist DVB-H das Broadcast-System für Hörfunk und Fernsehen.” Im gleichen Vortrag hebt er jedoch die Möglichkeit hervor, hybride Netze mit DAB, DVB-T und DVB-H aufzubauen. Mit solchen Äußerungen war Reimers als DAB-Gegner kaum zu orten.
Durchschaubare Absicht, oder eher Zufall?
Doch die Folgen der nun empfohlenen Mittelstreichungen werden Spuren hinterlassen. Wenn sich ARD, Deutschlandradio und Privatradios von der Diskussion um die KEF-Empfehlung nun wieder verzetteln und in entgegengesetzte Richtungen fortlaufen, oder das Projekt DAB+ halbherzig angehen (müssen), wird ein Erfolg des Projekts, mit und ohne die 42 Millionen zusätzlich beantragbarer Finanzmittel, ausreichend verlangsamt. Im Zweifel bis in die nächste Gebührenperiode. Zeit genug, um auf einen erfolgreichen Start von DVB-H mit radioartigen audiovisuellen Programmangeboten zu hoffen.
Der Plan ist zu offensichtlich und erzeugt nun eine Gegenströmung. ARD und VPRT wollen an ihren Plänen mit DAB+ in die Offensive zu gehen, festhalten. DAB+ ist eine gute Sache, die wir gerne unterstützen werden, antwortet Guy Fänkel, Programmchef der Rockantenne besorgten Höreranfragen. „Ich wundere mich schon länger, dass Prof. Reimers bei der KEF einseitige Technologiepolitik macht und alle anderen mitziehen”, polterte Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien im Deutschlandradio, gleich als sich die Streichungen im Oktober 2007 erstmals ankündigten.
In der Januarausgabe von TV-Zukunft, dem Mitteilungsblatt der deutschen TV-Plattform widmet Professor Dr. Reimers dem dahin siechenden Radio ein hilfreiches Editorial: Dem Beitrag ist zu entnehmen, dass die Mitglieder der TV-Plattform schon im Oktober 2007 gefragt wurden, ob sich die TV-Plattform auf dem Feld des digitalen Hörfunks engagieren soll. Die Geräteindustrie habe sich dafür ausgesprochen. So wird sich die TV-Plattform im Arbeitskreis Digitaler Rundfunk beim Bundeswirtschaftsministerium nunmehr auch mit Konzepten für das Radio befassen.
Da fällt es schwer, an die Unabhängigkeit des KEF-Gremius zu glauben. Und wie immer das Gezerre um die Zukunft des Radios ausgehen mag, ist die Glaubwürdigkeit der KEF nachhaltig beschädigt worden. Das sehen selbst DAB-kritische Beobachter wie Berater Bernt von zur Mühlen 1 oder der Szene-Zyniker vom Dienst, Christoph Lemmer 2, so. Spätestens jetzt besteht politischer Handlungsbedarf.