Unvergessen bleibt die Radioreportage von Herbert Zimmermann aus dem Jahr 1954, als Deutschland Ungarn mit 3:2 im WM-Endspiel besiegte. Der Radioreporter bringt die Spannung vom Fußballfeld zum Ohr des Hörers. Die Konferenzschaltung der ARD-Radiosender hat längst Kultcharakter, nicht zuletzt wegen markiger Sprüche und Versprecher. Im digitalen Zeitalter lebt der Kult weiter und wird sogar noch ergänzt.
Vor jedem Fußballgroßereignis werden die Bilder vergangener Tage bemüht, Rückblicke werden gezeigt und in die Jahre gekommene Dribbelkünstler erinnern sich wehmütig der guten alten Zeit. Selbstverständlich dürfen da die Bilder von 1954 nicht fehlen, wie Schäfer nach innen flankt, Kopfball abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt und...
Die Bilder werden gerne mit dem Kommentar von Herbert Zimmermann unterlegt, was dazu führt, dass der junge Fußballfan meint, so wäre das damals über die Flimmerkiste in der Kneipe nebenan gelaufen. Doch Zimmermanns Reportage war nur im Radio zu hören und das fußballbegeisterte Deutschland konzentrierte sich mehrheitlich auf den alten Volksempfänger als auf die wenigen Fernsehgeräte. Auch wenn sich dieses Verhältnis heute umgekehrt hat, so besitzt die Sportreportage im Radio doch Kultcharakter, nicht zuletzt wegen markiger Sprüche und Versprecher, denn in der Hitze des Gefechts bleibt nicht viel Zeit, einen Gedanken ausformuliert dem geneigten Hörer zu präsentieren. So verwundert es nicht, dass Herbert Zimmermann im Rausch des Triumphes vom „3:2 für Ungarn“ sprach und durch seinen Assistenten korrigiert werden musste.
„Abbusserln könnt ich ihn, den braven Abramczik, abbusserln“
Wir wollen dem guten Zimmermann diesen Fauxpas verzeihen, immerhin sind „wir“ ja trotz Versprecher Weltmeister geworden. Weniger lustig aus deutscher Sicht ist die viel zitierte Radioreportage von Edi Finger, der sich geradezu diebisch über den 3:2-Sieg Österreichs gegen Deutschland bei der WM 1978 in Argentinien freute. „Abbusserln könnt ich ihn, den braven Abramczik, abbusserln“, gestand Finger seine Zuneigung zum Schalker, als dessen Schuss das österreichische Tor knapp verfehlte. Der deutsche Fußball und seine Radiokommentatoren haben aber auch dieses sportliche Debakel überlebt.
Götter und Gurken
Wenn man mal genau hinschaut, ist die Fußballsprache der Radioreporter angehäuft mit militärischen Begriffen. Rahn schießt aus dem Hintergrund – nimmt man diesen Ausspruch aus dem Zusammenhang, ähnelt er eher einer versuchten Tötung. Es ist von Angriff, Flanken, Deckung, Kampf, Sieg und Niederlage die Rede, ja, es wird sogar geköpft. Doch gerade am letzten Begriff zeigt sich, wie unterschiedlich die Bedeutungen des Wortes „köpfen“ sein können, wenn zum einen ein Radioreporter und zum anderen ein Henker darüber sprechen.
Während die Sprache der Sportreporter in früheren Tagen wesentlich martialischer war, wählen die heutigen Sprachakrobaten am Mikro ihre Worte mit Bedacht. Sollte man meinen. Ausrutscher gibt es aber immer wieder wie z. B. von einem Reporter, der den Schiedsrichterassistenten als „Blindmann“ bezeichnete, nachdem dieser bei einem Angriff von Borussia Dortmund auf Abseits entschied. Doch damit nicht genug. „Das geht doch auf keine grüne Kuhhaut mehr, was dieser Erpel, Greipel oder wie auch immer er heißen mag sich dahinten da zusammenpfeift“, tönt es lautstark durch den Äther. Dortmund-Fan darf ja sein, wer will, aber als Reporter ist Neutralität in der Wahl der Worte das oberste Gebot.
Sicher, einen neutralen Kommentar sucht man lange, nur allzu schnell werden Spieler von
„Holt die Antidepressiva raus, Fortuna Düsseldorf spielt“
Reportern nach einer gelungenen Aktion in den Fußballolymp gelobt. Engeln gleich schweben sie über den Rasen und zeigen, warum der Fußballgott gerade sie mit künstlerischer Kreativität gesegnet hat, während das übrige Pöbelvolk an Bolzern jenen Ballartisten wüst in die Parade fährt. „Ein Schuss wie ein flauer Darmwind“, „das ist keine Zeitlupe, der läuft wirklich so langsam“ oder „sein Problem liegt zwischen den Ohren“ sind nur einige Kommentare, die ein Fußballer über sich ergehen lassen muss, wenn es mal nicht so rund läuft. „Alles Fußballelend der Nation auf einem Platz“ kommentierte WDR-Reporter Manni Breuckmann missmutig beim Spiel Hansa Rostock gegen den 1. FC Köln. „Holt die Antidepressiva raus, Fortuna Düsseldorf spielt“, lässt der wortgewandte Journalist kein gutes Haar am rheinischen Club.
Spott für Spieler und Reporter
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Fußballreporter belassen es jedoch nicht beim Spiel an sich. „Diego Klimowicz - ein Name wie Winnetou Koslowski“, ereifert sich ein Reporter über den Argentinier. Ganze Teams werden als „Eunuchen der Liga“ bezeichnet, weil sie nicht so können, wie sie wollen. Jedoch müssen nicht immer nur die Kicker als Zielscheibe für Verbalattacken herhalten. Die Reporter tun ihr Übrigens dazu,
„Diego Klimowicz
- ein Name wie Winnetou Koslowski“
dass der Radiohörer auch über sie lacht. Sabine Töpperwien will z. B. gesehen haben, wie eine Flanke auf den „Fünfmeterpunkt“ geschlagen wird. Ebenso machen sich die Herren und Damen Sportreporter an Redewendungen zu schaffen. Die grüne Kuhhaut, auf die nichts mehr geht, wurde bereits zitiert. Ganz und gar rätselhaft wird es, wenn der Homo Commentatoris Eigenkreationen zum besten gibt. Was heißt es bloß, wenn Abwehrspieler „wie Pik Sieben“ herumstehen? Als nähere Erklärung wird noch „wie von der Tarantel gestochen“ nachgeliefert, was aber weniger nach Herumstehen klingt.
(Dieser Artikel stammt aus der ersten Ausgabe von reinHÖREN anlässlich der Internationalen Funkausstellung in Berlin 2003)