Die Diskussionen um den neuen geplanten Tonübertragungsstandard im Digital Radio sorgt für Verunsicherung bei DAB-Hörern und all jenen die es werden wollen. Werden die bereits gekauften DAB-Radio schon bald wertlos?
Es ist nicht so, als hätte die Zeitschrift reinHÖREN vor dieser Auseinandersetzung nicht schon Mitte 2006 gewarnt (reinHÖREN 3-2006: LoFi statt HiFi). Mit der Entscheidung einer Einführung von MPEG-4 AAC+ geht die Gefahr einher, bisherige DAB-Hörer zu verprellen. Der Grund: Herkömmliche DAB-Empfänger sind auf die Dekodierung von MPEG-1-Layer-2 ausgelegt und könnten ohne Modifikation die MPEG-4 verschickten Programme nicht wiedergeben. Zudem eignen sich für ein Softwareupdate längst nicht alle Radios, weil die Echtzeitdekodierung von MPEG-4 mehr Rechenleistung von den Chipsätzen erfordert. Doch in der Praxis wird die Suppe längst nicht so heiß gegessen, wie sie den Foren und Medien gerade serviert wird.
Die Forderungen waren unüberhörbar
Die Rufe, DAB beim Audiocodec zu modernisieren, waren nicht länger zu überhören. Die Australier wollen mit DAB 2009 richtig loslegen, aber von vorne herein mit MPEG-4 starten (reinHÖREN 4-2006, Klare Ansage: Australien und sein DAB-Radio). In Frankreich trampelt man in Sachen DAB seit Jahren mit ein paar L-Band-Kanälen auf der Stelle. Die führenden Broadcaster sind gegen das L-Band und halten die bisherige DAB-Audiokompression für technisch weit überholt. Mit der neuen Frequenzkoordination der RRC06 und dem Vorstoß die neue hochmoderne Audiokodierung zum ETSI-Standard zu machen, sollten den Franzosen die Ausreden langsam ausgehen.
Die Verantwortlichen scheinen sich der Folgen einer technischen Modifikation von DAB aber vollauf bewußt zu sein. So bemüht sich die Initiative Marketing Digital Radio (IMDR) die Wogen zu glätten: Die Mitteilung des WorldDMB-Büros (vormals WorldDAB) in London sei zunächst nur eine rein technische Zukunftsinformation, heißt es dort. Diese Information ist natürlich ein wichtiges Signal für die Entwicklungs- und Produktionsabteilungen der Endgerätehersteller. Künftige DAB-Radios sollten MPEG-1 wie MPEG-4 verarbeiten können.
Verträgt der Radiomarkt das MPEG-4-DAB?
Aus deutscher Sicht stellt sich die Frage, was die in manchen Bundesländern mangelhaft belegten DAB-Ensembles eigentlich mit der neuen Technik anfangen sollen. In Thüringen mit seinen vier DAB-Programmen, sind solche technischen Finessen ein mehr als überflüssiger Schnick-Schnack. Der neue DAB-Audiostandard erreicht mit einer Übertragungsrate von 64 Kilobit pro Sekunde etwa die Audioqualität eines heutigen DAB-Programms mit 160 Kilobit pro Sekunde. Mit der neuen Technik passen somit statt acht oder neun Programme, gleich über 20 Programme in ein Ensemble. Zusammen mit den Frequenzentscheidungen der RRC06 ergibt sich eine Kapazität für wenigstens 60 bis 70 Radioprogramme. Zugleich sinken die Ausstrahlungskosten pro Programm deutlich.
Angesichts dieser Programmfülle ist jedoch die Frage gestattet, ob sich die Programmanbieter alleine mit Werbung refinanzieren könnten. Mit einem solchen Szenario bewegt man sich möglicherweise bereits im Bereich kostenpflichtiger Payradio-Angebote.
MPEG-4-DAB kommt 2015
Das die künftigen deutschen DAB-Bedeckungen gleich in MPEG-4 starten ist vorerst unwahrscheinlich. Mit der regionalen, dritten DAB-Bedeckung, wird man sich in Deutschland frühestens ab 2010 befassen. Aufgrund noch nicht freigegebener Frequenzen kann der Aufbau bis 2015 andauern. Hier wäre ein Einsatz der neuen Audio-Kodiertechnik denkbar. Würden DAB-Regionalensemble im MPEG-4-Format betrieben, stünden in Großstädten mehr digitale Programmplätze zur Vergügung.
Ein solches Szenario ist realistisch, weil zwischenzeitlich bereits MPEG-4-fähige Radios verkauft wurden, um die neue Technik für die Programmveranstalter marktfähig zu machen. Auch Helmut Egenbauer, Vorsitzender der Initiative Marketing Digital Radio (IMDR), scheint ein solches konsumentenverträgliches Umstiegsszenario im Sinn zu haben: „Der nun angekündigte Schritt zur Standardisierung des neuen Codec bedeutet definitiv nicht das Ende des bisherigen DAB sondern ist ein weit in die Zukunft gerichteter, konsequenter Schritt der Weiterentwicklung. ... Die bisherigen Programme und Dienste bleiben erhalten und werden durch weitere ergänzt!” Eine schnelle Umstellung auf MPEG-4 wäre ein Fehler: Einmal mehr würden Privatradio-Veranstalter digitale Signale ausstrahlen, für die es kaum Empfänger in den Haushalten gäbe. Das alte „Henne-Ei-Problem” stünde vor einer unrühmlichen Neuauflage.
Den Multinormradios gehört die Zukunft
Wenn die IMDR in ihrer Pressemitteilung heute allerdings von einer Rückwärtskompatibilität spricht, erweckt diese Aussage den Eindruck, alte DAB-Radios, die sich nicht mehr aufrüsten lassen, könnten die MPEG-4-Programme in minderer Klangqualität dennoch wiedergeben. Dieser Eindruck ist falsch. Andersherum ist es richtig: Die heute noch nicht erhältlichen DABplus-Radios für die MPEG-4-Dekodierung werden künftig auch herkömmliche DAB-Programme ohne Probleme empfangen können.
Welche DAB-Empfänger sind zukunftssicher?
Die größten DAB-Chipsatzhersteller werden künftig garantiert die MPEG-4-Fähigkeit ihrer Produkte ausweisen, nur verhalten sich Chiphersteller diskret bei der Nennung der Radiofabrikate, in denen ihre Prozessoren zum Einsatz kommen. Das Signal zur DAB-Modernisierung wird aber dazu führen, dass einzelne Hersteller ihren Geräten die theoretische MPEG-4-Aufrüstbarkeit bescheinigen. Kombiradios für DAB und DRM sind heute ebenso MPEG-4-fähig, wie DMB-Handys und DMB-Player. Hinzu kommen sehr neue DAB-Chipsätze, die bereits in einigen aktuell angebotenen DAB-Radios verbaut werden.