Hat ein digitales Radio mit terrestrischer Verbreitung in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft? Beobachter warten auf die Entscheidung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) in Sachen DAB. Doch auch Brüssel könnte einen neuen Kurs eingeben.
Im Vorfeld der morgen erwarteten Entscheidung zum Neustart des DAB-Digitalradio, hat sich der Vorsitzende der Initiative Marketing Digital Radio (IMDR), Michael Richter, in einem offenen Brief an die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) gewendet.
Er verweist darin auf die Notwendigkeit einer positiven Entscheidung, um dem Rundfunk in Deutschland eine Perspektive aufzuzeigen und ihn nicht von der europäischen Entwicklung abzukoppeln: „Die KEF kann nicht dazu befugt sein, Technologiepolitik zu betreiben. Sie sollte sich vielmehr darum bemühen, dass der Gebührenzahler das Bestmögliche für seine Rundfunkgebühren erhält.“
Seekrank?
30 Millionen Euro hat die KEF zurückgehalten. Die Marktteilnehmer sollen ein schlüssiges gemeinsames Konzept vorlegen, wie der Neustart des digitalen Antennenradios mittels DAB+ von statten gehen soll. Der große Privatradioverband VPRT hatte den „big bang“ genannten DAB-Neustart Ende Juni allerdings eine Absage erteilt.
In der reinHÖREN-Redaktion haben einige engagierte DAB-Geräteimporteure ihrem Ärger Luft gemacht. Der deutsche Markt sei nun einmal unverzichtbar, um DAB in ganz Europa auf eine breite Fahrrinne zu lotsen. Das ständige Hin- und Her zwischen Kirchturmpolitik der Länder und verschwommenen Plänen der Privatradios hat nicht wenige schon im Vorfeld seekrank gemacht. Sie sind entweder frustriert über Bord gesprungen oder haben in der Schweiz und Dänemark angeheuert.
Die Rundfunkverantwortlichen feiern heute zugleich die neuen Zahlen der Media-Analyse. Demzufolge habe Radio bei den jungen Hörern zwischen 10 und 19 Jahren zum zweiten Mal in Folge spürbar zugelegt. Bei den jungen Erwachsenen verlängerte sich der Radiokonsum um 6,7 %. Dies sei der wachsenden Akzeptanz des Webradios geschuldet. „Radio hat seine Chancen ergriffen, die die neuen digitalen Möglichkeiten bieten. Radio wirkt im Wettstreit der Medien in der Gunst der jungen Generation", triumphiert Lutz Kuckuck, Geschäftsführer der „Gattungsinitiative“ Radiozentrale.de aus Berlin. Ob sich allerdings die Gattung Radio durch den gepflegten Euphemismus durch seine Bedeutungskrise robben kann, darf bezweifelt werden.
Steuermann, wohin geht die Reise?
Wenn das analoge UKW nicht die Zukunft des Hörfunks ist und zugleich das Internet nicht seine Ablösung, sondern nur seine zeitgemäße Ergänzung, fehlt den freudentaumelnden Radioriesen der klare Kurs für eine geschäftliche Zukunft. Die Gattung Radio ist in Deutschland - trotz derzeit gesundem Bestands – in seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit bedroht.
Steht etwa hinter der DAB-Absage die Absicht, Radio und das bislang funktionstüchtige Geschäftsmodell vollständig in Frage zu stellen? Der Rettungsring im Internet besteht jedenfalls nur aus Bits und Bytes, schwimmt nicht und gibt keinen Halt.
Einsame Leuchtfeuer, später einmal UKW mit HD-Radio oder DRM+ zu digitalisieren, würde ein vorheriges Leeren der UKW-Frequenzen voraussetzen. Eine Entwicklung, die man ohne DAB gar nicht umsetzen könnte. Selbst die bisweilen formulierte Theorie, die Privaten wollen die Öffentlich-rechtlichen mit DAB+ vielleicht in seichtem Gewässer auf Grund setzen, wäre wohl ein reichlich einfältiger Schlachtplan.
Wann gehen die Lotsen an Bord?
Navigation durch das deutsche Wellenchaos - lässt es sich in allerletzter Konsequenz nur durch Brüsseler Lotsen noch sicherstellen. Schließlich geht es nicht um Landeswettbewerbe im Wind aufwirbeln, sondern um eine digitale Hörfunkgrundversorgung für ganz Europa. In Großbritannien, wo nach dem viel diskutierten Plan „Digital Britain“ bereits 2015 die Laternen auf UKW zu Gunsten von DAB ausgehen sollen, wurde bereits angekündigt, die Regierung in London wolle eine EU-Initiative zum Thema Digitalradio anstoßen. Und in diesem seltenen Fall dürften sich sogar die bayerischen EU-Verweigerer mit ihren Glaubensbrüdern in Großbritannien verbrüdern.
Na denn, ahoi!