Der „Big-Bang” getaufte, koordinierte Neuanlauf, dem UKW-Radio ab 2009 einen digitales Erfolgsmodell zur Seite zu stellen, nimmt langsam konkrete Formen an. Von jeder berufenen Stelle schallen Thesen in den Raum, die einen Weg erkennen lassen. Nur das Lokalradio hat Angst zum analogen Stubenhocker zu werden.
Auf der Funkausstellung, in Saarbrücken, in Stuttgart: Allerorten sitzen die Verantwortlichen der ARD, der Privatradios und der Medienanstalten zusammen und diskutieren den Konstruktionsplan für die Überführung des Radios ins Digitalzeitalter. Selbst zwischen ARD und Privaten werden gangbare Kompromisse ausgehandelt, die klar machen, dass hier nun endlich Bewegung in die Digitalradio-Entwicklung kommt.
In Mainz kamen dieser Tage zum Beispiel die ARD mit dem Privatradio-Verband APR überein, dass die digitale Übertragung von klassischem Radio, aber auch von ergänzenden Texten, Bildern und Videos künftig vorrangig auf Frequenzen im Band III und mit DAB-Systemfamilie (DAB+/DMB) realisiert werden soll.In Stuttgart wurde eine Kostenrechnung präsentiert, die an der baden-württembergischen Hörfunklandschaft einmal errechnete, wie viel die Radio-Versorgung pro Einwohner technisch betrachtet kostet. Für DAB+ kamen die Experten auf einem Betrag von 7 Cent, bei UKW sind es derzeit 14 Cent. DAB+ soll ab 2009 mit wenigstens drei so genannten „Bedeckungen” starten, wobei jede Bedeckung Platz für 16 Programme bietet. Die Präsentatoren der Kostenstudie, die Landesanstalt für Kommunikation, der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation und der Verband Privater Rundfunkanbieter Baden-Württemberg sind sich einig in ihrer Einschätzung, dass DAB+ / DMB der zentrale Verbreitungsweg für den digitalen Hörfunk sein wird. Die T-Systems empfiehlt hingegen in ihrem Diskussionspapier, die Audiokodierung der Inhalte, also DAB oder DAB+, nicht verbindlich vorzuschreiben.
Markenradio hoch 3?
In Saarbrücken präsentierte die Regiocast Gruppe auf einer internationalen Konferenz ihr Umstiegs-Szenario „Radio hoch drei” und den begleitenden Worten des Sprechers der Geschäftsführung, Erwin Linnenbach, fehlte es nicht an Deutlichkeit: "Wir haben keine Zeit zu verlieren. Der Einstieg in die digitale Terrestrik darf nicht verstolpert werden.” Es gäbe bereits jetzt einen „Anpassungsdruck, der von den IP-basierten Audio- und Radiodiensten auf unser etabliertes Hörfunksystem ausgeht”, mahnt Linnenbach. Es klingt so, als sei die Herausforderung, der sich das gute alte Radio nun ausgesetzt sieht inhaltlich verstanden worden. Doch wenn der Geschäftsführer von RTL Radio Deutschland, Gert Zimmer, dem Fachpublikum wieder die Marketing-Litanei von starken Marken und programmlicher Innovationskraft zumutet, scheint der Reifegrad der wirklich wesentlichen Beweggründe für die Radiodigitalisierung nicht überall gleichermaßen ausgeprägt zu sein. Beim Geplapper über den Start nationaler Programmangebote fühlen sich die kleinen Radioanbieter - das sind nicht selten jene mit den innovativen Programmkonzepten - natürlich unbehaglich.
Lokalfunker sind besorgt
Obwohl die Ergebnisse der Wellenkonferenz aus dem Jahr 2006 auch Platz für regionale Bedeckungen bietet, also Versorgungszonen, die kleiner als ein Bundesland sind, befürchten die Lokalradios erheblichen Wettbewerbsnachteile. So stellt sich die Frage nach den Investitionskosten für einen Umstieg auf Digital Radio, dem Zuschnitt der regionalen Bedeckungen der dazu führen kann, dass lokale Programme sich weiträumig überschneiden und somit in einen Wettbewerb um Werbekunden geraten, den es bei der bisherigen Frequenzausstattung und Reichweite nicht gab. In anderen Gebieten kreisen zwei einsame Programmangebote im Multiplex; eine wirtschaftlichen Versorgung stellt sich aber erst mit einem voll ausgelasteten Programmensemble ein. Kurzum: DAB ist für die Lokalradios nicht die ideale Lösung zur Programmverbreitung. Das lokale Radio könnte so zum analogen Stubenhocker werden.
10 Millionen DAB-Hörer gesucht
Keine Frage, der „Big-Bang” braucht das Werbegetöse der Großen, um beim Konsumenten anzukommen. Auch die T-Systems Media & Broadcast als Errichter der technischen Infrastruktur sieht das in ihrem Thesenpapier pro Digital Radio so. Zum Start braucht man wenigstens drei Ensembles (=Programmpakete), eine bundesweite Bedeckung und zwei Landesbedeckungen. Das ergibt dann immerhin 45 Radioprogramme in jedem Winkel der Republik. Die Investitionsgröße wird vage mit 100 bis 200 Millionen Euro taxiert. Das Lokalradio ist bei diesen Überlegungen nicht mit an Bord. Die T-Systems spricht sich ferner gegen finanzielle Subventionen aus: „Die Digitalisierung des Hörfunks wird deshalb nur dann Erfolg haben, wenn ein Umfeld geschaffen wird, in welchem Unternehmen die Chance sehen, dauerhaft Geld zu verdienen”, heißt es in den Positionspapier aus Bonn. Um die Radiodigitalisierung zum Erfolg zu führen, brauche es nach Meinung der T-Systems mehr, als nur ein paar neue Mainstream-Programme. Zusatznutzen und neue Dienste seien gefragt und ein Plattformbetreiber der selbst entscheiden kann, welche Angebote er für attraktiv hält. Auch der Blick nach England führe nicht weiter. Um die geplanten Programme mit Werbung zu refinanzieren zu können, müsse das neue Digital Radio in einem überschaubaren Zeitraum zehn Millionen Hörer gewinnen. Für das Lokalradio hat die T-Systems auch kein Patentrezept in der Tasche. Hybrid-Systeme wie HD-Radio könne man ruhig erörtern,findet die T-Systems.