Während in Europa über die Digitalisierung des Radios gestritten (und von einigen Ländern auch vollzogen) wird, ist man in Kanada noch längst nicht so weit. In dem riesigen Flächenstaat hat gerade das große Sterben der Radiostationen auf Mittelwelle eingesetzt.
Kanada, das zweitgrößte Land der Erde, hat wenig mehr als 30 Millionen Einwohner. Der Großteil der Bevölkerung konzentriert sich auf die wenigen städtischen Zentren: Vancouver, Calgary und Edmonton im Westen sowie Montréal, Québec, Ottawa und Toronto im Osten. Politisch ist Kanada eine Föderation von zehn Provinzen und drei Territorien, um die ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt zu gewährleisten. Landessprachen sind überall Englisch und Französisch, wenngleich Französisch in der Hauptsache nur in den Provinzen Québec und Neubraunschweig gesprochen wird. Da Kanada ein klassisches Einwandererland ist, früher kamen die größten Gruppen aus Europa, heute eher aus Fernost. Die Größe des Landes und das Mosaik der Bevölkerungsgruppen spiegelt sich auch in der kanadischen Radiolandschaft wie kaum einem anderen Land der Erde wieder.Wer die Großstädte und die ländlichen Regionen bereist, merkt schnell, dass das analoge Radio dominierend ist. Und zwar ganz anders als der verwöhnte Europäer vermutet. Denn was hier zu Lande undenkbar geworden ist, stellt in Kanada die Regel dar: Sowohl UKW als auch die Verbreitung über Mittelwelle werden fast gleichermaßen genutzt. In den Großstädten sind die Frequenzen knapp, aber die Radiohörer wollen in ihrer Muttersprache Informationen erhalten und das kann – etwa im Schmelztiegel Toronto - zu Ausstrahlungen in Italienisch, Kantonesisch oder Portugiesisch führen. Auf dem Land dagegen führen die geringen Sendeleistungen und die großen Distanzen zwischen den Städten dazu, dass die Mittelwelle eine wesentlicher Versorgungspfeiler geblieben ist.
Gleichwohl haben auch viele kleine Städte eine lokale Radiostation. Sogar der stets gut besuchte Banff-Nationalpark nördlich der Olympia-Stadt Calgary hat einen nicht-kommerziellen Radiosender mit stets aktuellen Informationen für seine Besucher gleich auf zwei Frequenzen in Englisch und Französisch.
Aus der Not heraus ist aber vor allem die Mittelwelle gefragt, wenn die Reisenden schon in einiger Entfernung der nächsten größeren Ansiedlung begrüßt und unterhalten werden sollen.
Das große Sterben
Bisher wenigstens. Denn in Kanada hat inzwischen das große Sterben von Stationen auf Mittelwelle eingesetzt. Waren es vor zehn Jahren noch knapp 300 Stationen, die über Mittelwelle zu hören waren, so hat sich die Zahl inzwischen etwa halbiert. Genau 178 kommerzielle Stationen hat man zu Beginn des Jahres 2007 gezählt 1. Kingston, Ontario, hat den jüngsten Verlust zu beklagen.
Die meisten Radiosender schwenken um auf eine UKW-Frequenz. Und obschon diese lediglich in den größeren Städten zu hören sind, hat sich deren Anzahl sprunghaft vergrößert. Der Gründe sind banal: Die jüngeren hören keine Mittelwelle-Stationen mehr und so wundert es kaum, dass eine Mittelwellen-Station im Schnitt lediglich 118.000 CAN Gewinn einbringt, während es die UKW-Station auf sagenhafte 659.000 CAN bringt.
73 DAB-Stationen im L-Band
Gleichwohl spielt auch Digitalradio DAB eine Rolle, wenngleich noch immer eine untergeordnete. Offiziell wird der Start der Einführung auf den 1. November 1999 datiert und anders als bei uns nennt sich das neue Radio „Digital Radio Broadcasting“, kurz DRB. Gegenwärtig existieren 73 lizensierte DAB-Stationen in Kanada, davon fünfzehn in der Regierungshauptstadt Ottawa, 25 im Schmelztiegel Toronto, 15 in Vancouver, der „Perle am Pazifik“, zwölf in der weltweit zweitgrößten französischsprachigen Stadt Montréal und sechs in der Grenzstadt Windsor, unmittelbar bei Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Überall sind jeweils vier öffentlich-rechtliche Stationen zu empfangen, die Übrigen sind Privatstationen, einige davon waren zuvor lediglich auf Mittelwelle zu empfangen. Insgesamt erreichen die DAB-Stationen in ihrer Gesamtheit trotz geringer Flächenabdeckung rund elf Millionen Einwohner und damit bereits ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Dabei setzt man in Kanada ausschließlich auf die Verbreitung im L-Band.
Weitere sieben DAB-Sender arbeiten im Testbetrieb in Halifax, Nova Scotia. Nicht alle lizensierten Sender sind auf Sendung, insbesondere die ersten DAB-exklusiven Stationen in Toronto haben ihren Start bislang immer wieder verschoben.
Task-Force als Mangelverwalter
Sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die Privatstationen hatten sich schon 1992 in der „Digital Radio Research Inc.”, kurz DRRI, zusammengeschlossen, um DAB in Kanada erfolgreich einzuführen. Sogar eine „Task Force” für das Digital Radio wurde gegründet, die dem Industrieminister regelmäßig Bericht erstatten muss und für die weitere Einführung zuständig ist.
Bewusst stellten sich die etablierten Sender vor über zehn Jahren nicht auf den Standpunkt der US-Sender, die ihr profitablen Markt im FM-Band gegen jeden Konkurrenten abschotten wollten.
Doch die DAB-Einführung ist ins Stocken geraten. Ein großes Problem ist - wie in Deutschland nicht anders - dass die Empfänger im Einzelhandel kaum erhältlich sind. Auch im Internet gibt es nur wenige Anbieter, sodass eine Reihe von Kanadiern den beschwerlichen Weg in Kauf nimmt, ihre Geräte sogar aus Großbritannien zu bestellen. Die Auswahl ist dort erheblich größer, doch Radios mit L-Band-Empfang haben Seltenheitswert.
Ein anderes Problem war HD-Radio, das jedoch nur auf wenig Gegenliebe gestoßen ist; sehr viel beliebter ist dagegen die Verbreitung über die Satelliten-Systeme aus den USA: Sirius und XM-Radio.