Im Zeitalter der Digitaltechnik, ist „krächz...“ die Welt der „pratzel...“ Kurzwelle zumindest von seiner „fiep...“ akustischen Anmutung ein „ krack-pfft...“ Anachronismus. Internet sei dank, braucht „brummm“ man dafür nicht mal mehr ein „dit-da-dit...“ Radio.
Die Kurzwelle ist ein weltumspannendes Kommunikationsmedium. Die Infrastruktur (Frequenzen und Ionosphäre) ist quasi als Naturressource vorhanden. Die Eigenschaften der Kurzwelle sind schwer berechenbar, aber eben auch kaum zu kontrollieren. Mag sein, dass die Kurzwelle - ob für Radio oder Sprach-Daten-Kommunikation - etwas aus der Mode gekommen ist, fest steht aber, dass es keine „Torwärter“ gibt. Kein Satellitenbetreiber, der den Saft abdreht, keine Regierungen die Zensurfilter einbauen und die Nutzungsgewohnheiten ihrer Bürger durchleuchten. Die Möglichkeiten der störenden Einflussnahme sind auf Kurzwelle wenigstens so monströs und kostspielig, wie die erforderlichen Kurzwellensendeanlagen, aus deren Verlustleistung sich kleinere Orte mit Fernwärme versorgen lassen.
Einst glaubte man, die kurzen Meterwellen seien zu nichts nutze und überließ sie Amateurexperimenten. Funkamateure entdeckten, dass sich weltweite Funkverbindungen damit realisieren lassen. In gewisser Weise sind die den Funkamateuren zugewiesenen Frequenzen eine Art von Finderlohn für diese Entdeckung. Nicht selten stecken Funkamateure auch hinter der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien: Kaum jemand, der heute E-Mails per GPRS auf sein Mobiltelefon herunterlädt oder ein WLAN-Radio einrichtet, weiß, dass die Technik der Steuerung und Prüfung von Datenpaketen (Packet Assembler and Disassembler) auf einer Entwicklung des Amateurfunks beruht. Das, was wir heute als Open-Source bezeichnen würden, war unter Funkamateuren immer schon üblich, damit neue Techniken weltweit schnell verwendet werden konnten.
WebSDR?
WebSDRs stehen so gesehen in einer langen Tradition der Innovation. SDR, das steht für Software Defined Receiver. Das sind Radioempfänger, die nicht viel mehr machen, als die Funkfrequenzen von etlichen Megahertz in einen Bereich zu von wenigen Kilohertz zu konvertieren. Die Verarbeitung der eingefangenen Signale überlässt man so einer PC-Soundkarte und bemüht Software, um die Radiosignale zu filtern und zu dekodieren.
Ein WebSDR ist ein SDR, der Internetbenutzern zur Verfügung gestellt wird. Über die Java-Applikation einer Bedienwebseite kann man sich per Mausklick auf jeder Frequenz des Soundkartenausgangs niederlassen und sich den Inhalt der Funksignale zu Gemüte führen. Fernsteuerbare Kurzwellenempfänger im Internet sind zwar nicht neu, doch herkömmliche Hardwareradios im Internet lassen sich immer nur von einem einzelnen Internetbenutzer bedienen. Der WebSDR hingegen verträgt so viele gleichzeitige Benutzer, wie es seine Internetanbindung hergibt.
Das SDR als Webservice aufzusetzen war die Idee des niederländischen Funkamateurs mit dem Rufzeichen PA3FWM vom Funkamateurklub der Universität Twente in Enschede. Was 2008 als Betatest einer Serveranwendung für SDRs begann, ist eigentlich eine Revolution in der Frequenzüberwachung, von der auch normale Kurzwellenhörer profitieren können.
Ganz neue Möglichkeiten
Bisher lag der Reiz der Senderjagd auf Kurzwelle darin, am eigenen Empfangsstandort und mit dem eigenen Radio entfernte Sender zu empfangen. Die Sender bestätigen Empfangsberichte mit einer bunten QSL-Karte. Für den Sender war der Empfangsbericht ein Hinweis auf seine Empfangbarkeit, für den Kurzwellenhörer oder Funkamateur ein Beleg der Leistungsfähigkeit seiner Anlage.
Wer sich auf der Webseite www.websdr.org umschaut, kann sich entscheiden, ob er ein SDR in Russland, den USA, den Niederlanden oder Rumänien ausprobieren möchte. Die Originalanlage in Enschede verwendete einen 80 Meter langen Draht zum Empfang. Kaum ein Funkamateur oder Kurzwellenhörer wird solche Möglichkeiten haben. In der Praxis habe ich noch nie so lange und so ausführlich an einer derart leistungsfähigen Anlage gesessen und gestaunt, was alles möglich ist.
Bedauerlicherweise ist der größte Web-SDR an der Uni Twente in Enschde seit etlichen Monaten offline: Die Fakultät musste in andere Räumlichkeiten umziehen und die Installation der Antennen bereitet Probleme
Die Seite websdr.org ist ein Projekt von Funkamateuren, für Funkamateure. In Enschede wurden an der Universiät Twente neben Lang- und Längstwellenfrequenzen vor allem die Amateurfunkbänder von 160 bis 20 Meter abgebildet. Die amerikanischen Softrock-SDR-Platinen, die dort im WebSDR-Server stecken, sind auf Mittenfrequenzen der Amateurfunkbänder abgestimmt. Natürlich wäre theoretisch auch normaler Rundfunkempfang möglich. Technisch betrachtet, sind solche SDRs etwas limitiert: Abhängig von der maximalen Samplingrate der Soundkarte kann nur ein Frequenzspektrum von 48 bis höchstens 192 kHz ohne Hardwarezugriff dargestellt werden.
Näher am Sender
Nach einigen Tagen des Experimentierens und Lauschens bin ich verwirrt und beeindruckt zugleich. Wenn ein hiesiger Funkamateur wissen möchte, ob der auf dem 40-Meterband die USA erreichen kann, sendet einen Anruf und hört sich sein eigenes Signal in Reston, Virginia oder Atlanta, Georgia selbst an. Im Grunde könnte er sich die QSL- Karte jetzt gleich selbst schreiben. Auch sportlich gemeinte Empfangswettbewerbe werden ins Absurde geführt: Die Aufgabe, binnen 24 Stunden Stationen aus allen Erdteilen zu empfangen, lässt sich mit einigen WebSDRs in verschiedenen Winkeln der Welt problemlos binnen 240 Minuten erledigen.
Die Kurzwellenbänder haben unterschiedliche Ausbreitungseigenschaften. Während größere Wellenlängen wie 160 und 80 Meter in den Nachtstunden bei der Reichweite zulegen, schrumpfen die Ausbreitungsbedingungen auf kürzeren Wellen wie 20 Meter deutlich zusammen. Neben Einflussgrößen wie die Sonnenaktivität, ändern auch die Jahreszeiten die Bedingungen. Interessant ist das vor allem bei Verbindungen auf die andere Halbkugel. Im Winter bei uns, ist in Brasilien Sommer. Die Profis unter den Wellenjägern nutzen hier gerne vorübergehende Bandöffnungen, wenn die Dämmerungszone zwischen uns in Europa und Südamerika liegt.
Es ist nicht schlecht, solche grundlegenden Kenntnisse von Ionosphäre und Wellenausbreitung zu haben. Doch ein WebSDR löst Aufgaben, die von der eigenen Empfangsanlage aus physikalisch kaum machbar sind. Mit dem SDR von WB4MAK in Atlanta gelang mir im Oktober 2010 spätabends auf 20 Meter der Empfang von Carlos, 4B1B aus Mexiko-Stadt ebenso, wie ein Mithören der Funkverbindungen von HI3WL, einem deutschen Funkamateur live aus seiner Wahlheimat in der Dominikanischen Republik.
Mit der 80-Meter Antenne des SDR an der Uni Twente verfolgte ich weiter die kaum abreißende Kette von Funkamateuren, die sich einen Kontakt mit F/TU5KG nicht entgegen lassen wollten. TU ist das Rufzeichenprävix für die Elfenbeinküste. Das F zeigt an, dass er sich aktuell in Frankreich aufhielt. Mit dem Rufzeichen ist man in Europa und Asien reichlich gefragt. Rekordverdächtig wie viele seiner Gegenstationen aus Arabien, Russland und des südasiatischen Raums ich mit dieser Anlage binnen 60 Minuten mithören konnte.
Großes Potenzial
Als Radiohörer wünscht man sich natürlich auch ein paar Rundfunkbänder im Hörangebot der WebSDRs. Doch sind Rundfunkbänder breiter und mit dem Limit von 192 Kilobit-Sichtbreite schwieriger online darstellbar. Ein weiteres Limit der Technik ist die Bereitstellung von Internetbandbreite. Die Anwendung der Webseite, die Bedienbefehle jedes einzelnen Benutzers und die Audioausgabe müssen per IP-Netz bewegt werden. Das summiert sich dann auf etwa 200 Kilobit im Up- und Downstream. Die Anlage in Enschede schaffte über 130 simultane Benutzer. Letztlich ist eine solchen Anbindung nur in städtischen Gefilden zu bekommen, funktechnisch hingegen wäre ein ganz abgelegener Empfangsstandort ohne menschengemachte Störeinflüsse natürlich optimal. Beides bekommt man nicht unter einen Hut.
Trotzdem, verglichen mit dem Störpegel bei mir zu Hause, ist der WebSDR ein virtueller Funkurlaub. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis das DRM-Konsortium zeigt, wie gut die digitale Kurzwelle funktionieren kann oder Hörerklubs ihren Mitgliedern eine exklusive Empfangsanlage ins Internet stellen, von der einzelne Hörer bisher allenfalls träumen konnten.
Einfach ausprobieren
Wer nun Lust hat, einmal in die Welt des Amateurfunks hineinzuhören, dem sei die Webseite www.websdr.org wärmstens empfohlen. 22 Empfänger warten dort auf Benutzer. Einen kleinen Bedientipp für schnellere Hörerfolge haben wir noch: Um die Aussendungen in Telefonie, also Sprache zu hören, wählt man unter 10 MHz die Betriebsart LSB aus, über 10 MHz USB. Die Abstimmung erfordert etwas Feingefühl bis aus dem quäckigen Geräuschen eine klare Sprachdarstellung wird. Der Anfang der Amateurfunkbänder ist jeweils dem Tastfunk (Morsen) vorbehalten.