Ach, was haben wir beklagt, dass es keine gescheiten Radioprogramme in Deutschland zu hören gäbe. Heute stehen wir beim Webradio 1.000 deutschen und 15.000 Programmen aus aller Welt gegenüber, doch sind wir Radiohörer deshalb heute glücklicher?
„The world ist at your fingertips“, bewarb eine Kurzwellenradiohersteller aus Fernost 1986 sein neustes Produkt. Es war nicht übertrieben, denn mit der Kurzwelle ließen sich - die Gunst des richtigen Augenblicks und jahrelange Geduld vorausgesetzt – knapp 4.000 Sender in Mitteleuropa empfangen. Alle Kontinente des Erdballs binnen 24-Stunden einzufangen, war keine außergewöhnlich schwierige Übung damit.
Beim Kurzwellenempfang stand allerdings das physikalische Experiment als sportliche Herausforderung im Zentrum des Treibens. Das Radiohören als musikalisch-akustische Erbauung spielte eine eher untergeordnete Rolle. So gesehen dürften die ersten Entwickler von WLAN-Internetradios von der Herangehensweise des Kurzwellenhörers inspiriert worden sein.
Bis heute führt die Standard-Senderwahl über Kontinente und Länder.
Das Auswahlparadoxon
Doch ist der Empfang der angewählten Sendung beim Internetradio selten eine Überraschung. Ob Nepal oder Patagonien, der Stream kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit. Die meisten Leser hören Sender wie „Radio Cultura Angola“ nicht etwa um portugiesische Nachrichten zu hören, sondern um in den jeweiligen musikalischen Kosmos einzutauchen. Hier hilft die Musikstil-Auswahl weiter, doch selbst Freunde des „Mittelalter-Rocks“ finden 450 Stationen vor. Ist der gewählte Sender der richtige, sendet ein anderer nicht vielleicht gerade etwas besseres?
Das Problem ist längst in der Medienforschung angekommen. Gibt es sie, die Qual der Wahl? Der US-Soziologe Barry Schwartz erklärte bereits 2004, warum uns zu viel Auswahl unglaublich stresst. In seinem Buch „The Paradoxon of Choice“ (deutscher Titel: Anleitung zur Unzufriedenheit) erklärt Schwartz, das zu viel Auswahl auf das Konsumverhalten bezogen mehr schadet als nützt. Wer überfordert ist, kauft weniger und wer dann doch kauft, ist mit seiner Wahl immer unzufrieden, weil es zu viele Varianten gab, die er nicht prüfen konnte.
Beim Webradio ist es ähnlich. Die Hörer werden zu ruhelosen Nomaden: Wo ist im Ozean von Programmen der Sender, der genau die richtige Musik spielt? „A Message in a Bottle“ von Police kann man gut finden, sich aber trotzdem nach „So lonely“ sehnen. Das Risiko, dass genau dieses Stück gerade gespielt wird, schürt die innere Unruhe. Nach Stunden des Suchens und Stöberns hat man viel gehört und doch nichts genossen. Nach Wochen des Spielens mit dem Webradio, irrt man zunehmend verstört durch die Listen und die traditionellen Hörfunker vor Ort können wieder hoffen: Wer nicht suchen will, landet schließlich wieder bei WDR2, HR3, Bayern2 oder bei FFH.
Phantasievoll suchen, intelligent finden lassen
In diesem Zusammenhang ist der Umgang mit PC-gestützten Senderdatenbanken eine erfreuliche Rückbesinnung. Nicht nur, dass es Funktionen gibt, mit denen sich jeder Wunschtitel ausmachen lässt. Die Art der Suche ändert sich.
Eine Erfahrung, die man zum Beispiel beim Umgang mit der Shoutcast-Datenbank (Nullsoft/AOL) nachvollziehen kann. Plötzlich lässt sich nach Interpreten, Stichwörtern wie Städtenamen und die Verkettung von Orten und Genrebegriffen suchen. Neben der Loslösung von starren Filterkriterien ist das Besondere daran, dass jede Datenbankabfrage live beantwortet wird. Zum Zeitpunkt der Suchabfrage werden die Metadaten der in Betracht kommenden Stationen nach weiteren Übereinstimmungen durchforstet. Die Suchergebnisse von Shoutcast vermischen die größte Suchübereinstimmung mit der größten Programmpopularität und enthält somit eine Mischung aus Qualität und Überraschungen, die angenehm ist, weil exotische Ergebnisse in kleiner Dosierung leichter bekömmlich sind.
Generell spannend an dieser Lösung ist der Umstand, das alle der 36.000 Stationen einen Shoutcast-Streaming-Server verwenden müssen. Ein Rückfall zu WDR2 oder FFH ist ausgeschlossen. Erstaunlich allerdings, dass viele kommerziell erfolgreiche Webradios auf eine Nebenpräsenz bei Shoutcast wert legen, um bei einem Hauptserverausfall noch eine Alternative aus dem Hut zaubern zu können.
Eine Hardwareumsetzung neben dem iPhone erfuhr Shoutcast als Hauptradioanwendung des kleinen Chumby-Internetterminals. Nun mag man von den Details der Chumby-Hardwareumsetzung halten was man will, aber die Bedienkombination aus Shoutcast-Datenbank mit Touchscreen und Bildschirmtastatur hat einen beachtlichen Suchtfaktor. Es gibt ja so viele Fragen an das Radio der Welt: Punk aus Sibirien, Folklore aus Japan, Alternative aus Helsinki, Bahnfunk in den Rocky Mountains...
Allein die intelligente Verknüpfung beliebiger Suchbegriffe zeigt das Potenzial der neuen Touchscreenradios wie Chumby und Pure Sensia. Zusammen mit genormten Metatags, also programmbeschreibenden Stichworten, ergeben sich enorm entspannte Programmfindungen. Wer differenziert genug fragt, erhält schließlich eine Antwort: seinen Sender.