Der Entschluss, MPEG-4 AAC+ als Audiocodierung von DAB zu verwenden, ist eine strategische Ansage für die Zukunft, aber noch kein Signal zur Vernichtung herkömmlicher DAB-Radios. Einigen Verantwortlichen kann der Wechsel offenbar nicht schnell genug gehen. Sehr zum Ärger von Handel und Hersteller.
Die dänische Tageszeitung „Politiken” sprach mit Paul Samsøe, Chefingenieur von Danmarks Radio DR über DAB [ 1 ]. Samsøe glaubt an eine technische Renovierung des DAB-Standards in fünf bis zehn Jahren. Ob es denn dann Sinn mache, heute soviel Geld und Energie in Marketingkampagnen zu investieren, wenn das Ende schon absehbar sei, fragte die Zeitung: „DAB erobert die Welt nicht in einem solchen Sturmlauf wie die DVD für das Fernsehen, aber es ist derzeit ohne Alternative. Vielleicht gibt es in fünf Jahren eine Alternative.” Auf die Frage, ob DAB-Hörer in fünf Jahren ein neues Radio benötigen räumte Samsøe unbekümmert ein: „Ja - genauso wie Sie in fünf Jahren einen neuen Fernseher und oder ein neues Mobiltelefon brauchen. Wenn man immer noch die neue Technik abzuwarten will, die vielleicht kommt, wird man aus dem Warten nicht mehr herauskommen.” Das kleine Dänemark zählt immerhin bereits 700.000 DAB-Hörer, die eine solche Aussage nicht erfreuen wird, wenngleich ein Wechseltermin auf MPEG-4 in diesem Kontext nicht genannt wird.
Die Eidgenossen wagen den Frühstart
In der Schweiz sind die Konzessionen für die zweite DAB-Bedeckung noch nicht vergeben, da platzte die Nachricht vom neuen DAB-Audiocodec in die Beratungen hinein und sorgte umgehend dafür, dass man bei der Bundesanstalt für Kommunikation (BAKOM) die technische Ausgangslage neu bewertet. Hinter verschlossenen Türen wurde beratschlagt, ob das neue Ensemble schon in der neuen Technik auf Sendung gehen könnte. Gestern, am 14. November 2006, entschied das Bundesamt die Ausschreibungsfrist nochmals bis zum 31.12.2006 zu verlängern und statt der drei Konzessionen an Privatradios nunmehr acht Konzessionen zu vergeben. Die Konzessionen sollen im Frühjahr 2007 ausgegeben werden, sofern bis dahin das europäische Normengremium ETSI über den neuen Audiocodec positiv entschieden hat [ 2 ].
„Ja, die Entscheidung für MPEG-4 ist fix”, stellt Alfons Birrer von der BAKOM fest. „Wir mussten schnell entscheiden, weil wir doch bei DAB in der Schweiz wirklich Druck machen wollen. Das DAB-Konsortium mit allen wesentlichen Veranstaltern hat das Thema der neuen Audiocodierung ebenfalls diskutiert und diese Diskussion ließ den Schluss zu, dass die Veranstalter unsere Entscheidung mit tragen werden”, erläutert Birrer den schnellen Entscheid. Für die Veranstalter ist vor allen die mögliche Halbierung der Sendekosten ein gewichtiges Argument.
Der Frühstart könnte jedoch für den Handel ein Fiasko werden. Je nach Quelle wurden in der Schweiz immerhin zwischen 25.000 und 50.000 DAB-Geräte verkauft. Das erfolgversprechende Weihnachtsgeschäft kann der helvetische Einzelhandel für 2006 getrost abhaken. „Die erste DAB-Bedeckung wird weiter im herkömmlichen Sendeverfahren laufen. Natürlich ist das eine schwierige Entscheidung gewesen. Für Märkte die mit DAB weiter sind, wäre ein solcher Weg nicht gangbar, das ist wohl klar”, räumt Birrer ein.
England braucht AAC+
Am dringendsten wird die neue Audio-Kompressionstechnik eigentlich in Großbritannien benötigt. Selbst außerhalb der Audiophilen-Szene rührt sich der Unmut über blechern scheppernde DAB-Programme. In Befragungen von [ 3 ] www.digitalradiotech.co.uk rangiert DAB nur über der Mittelwelle. Immer mehr Stationen wollen oder müssen auf DAB Flagge zeigen. Die zur Verfügung stehenden Kapazitäten reichen für ein qualitativ hochwertiges Miteinander längst nicht mehr aus. Die Tageszeitung „The Guardian” mahnt Klangverbesserungen an, wenn DAB UKW ablösen soll [ 4 ]. Doch es ist nicht immer der Kapazitätsmangel: Etliche Privatradios buchen sich aus Kostengründen mit wenig Bitrate oder Mono in die DAB-Ensembles ein. Die Kosten- und Kapazitätsprobleme ließen sich mit dem neuen Codec elegant lösen. Eine solch radikale Entscheidung wie in der Schweiz ist in Großbritannien nicht zu erwarten. Während die Schweiz nun einen frühen Bruch herbeiführt, ist dieser Zeitpunkt mit über 3,5 Millionen DAB-Radio-Besitzer für die Briten längst überschritten.
Hersteller verärgert
In Fachkreisen gilt die Ankündigung des neues Audiocodecs für DAB übrigens als ein Versehen. Ursprünglich war die Ankündigung, in Zukunft bei DAB auf MPEG-4 zu setzen, erst für Ende 2007 geplant, um den Chip- und Endgeräteherstellern genügend Zeit zu geben, ihre Produkte den neuen Erfordernissen anzupassen. Mit der einsamen Entscheidung der Schweiz entsteht der Eindruck, man wolle DAB mit MPEG-4 einführen, noch bevor ein Radio dafür entwickelt ist: „Wir wollten kein DABplus-Label auf der Verpackung haben”, erklärt hierzu Ralf Reynolds von Pure-Digital in Deutschland. „Vielmehr sollten unsere Geräte bereits MPEG-4 unterstützen, wenn diese strategische Entscheidung öffentlich wird.”
Externe Links:
[1] DR Paul Samsoe im Interview
[1.1] Übersetzung englisch in digitalradiotech.co.uk
[2] BAKOM Entscheid
[3] www.digitalradiotech.co.uk
[4] Guardian: DAB gets a poor reception