DAB einstellen und zur Funkausstellung 2005 ein neues, digitales Medienprojekt aufsetzen? Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg plant potemkinsche Dörfer und bricht damit eine Diskussion vom Zaun, an deren Ende hoffentlich ein klarer Fahrplan zur Digitalisierung des Hörfunks steht.
Der Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg empfiehlt in einer Pressemitteilung vom 25. November 2004, Digital Radio DAB zu Grabe zu tragen, um schon auf der Funkausstellung 2005 in Berlin ein neues technisches Konzept vorzustellen, es zur Fußball-WM 2006 der Welt als Pilotprojekt zu präsentieren und sodann zügig in den Markt zu tragen.
Die Pressemitteilung beinhaltet eine ausführliche Analyse, die begründet, weshalb Digital Radio DAB bislang keinen großen Anklang beim Hörer gefunden hat: Ein mangelhaftes Programmangebot, schlechter Empfang in geschlossenen Räumen und zu wenig Frequenzkapazitäten, um das Angebot vor der internationalen Frequenzverteilungskonferenz Mitte 2006 maßgeblich zu vergrößern.
Die Analyse beschreibt zutreffend die Wirkungen einer Vielzahl politischer Fehlleistungen, ohne allerdings den Ursachen nachzugehen.
Politische Ablenkmanöver
Es ist die schlechte Abstimmung von Positionen zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten der ARD und den Landesmedienanstalten, die für die Zulassung von neuen Programmen verantwortlich sind, sowie die schwache technische Umsetzung der DAB-Sendernetze, die eine gelungene Präsentation und Einführung des digitalen Hörfunks als massentaugliches Medium vereiteln.
In jedem Bundesland entscheiden unterschiedlich geprägte politische Kräfte darüber, ob ein Programm für die digitale Ausstrahlung geeignet ist oder nicht.
- Deshalb erhält ein Programmveranstalter in Bundesland A eine Zulassung für DAB, während der gleiche Programmveranstalter im Bundesland B abgewiesen wird.
- Deshalb kann man in Bayern und Baden-Württemberg teilweise mehr Sendeleistung verwenden, während Sendernetzbetreiber anderer Bundesländer erfolglos Anträge zur Erhöhung der Sendeleistung bei der Regulierungsbehörde Telekommunikation und Post stellen.
Hinweise auf Digital Radio-Programmangebote bei der ARD erhält der UKW-Hörer bestenfalls in einer wirkungslosen homöopathischen Dosierung, die nur dazu angetan ist, dem Vorwurf vollkommener Untätigkeit widersprechen zu können.
Technische Probleme vorschieben
Statt die Stagnationsursachen in der Politik zu suchen, sieht die Medienanstalt Berlin-Brandenburg die angeblich veraltete Technik als Kern des Problems. Das DAB-Verfahren basiert auf dem MPEG-2-Standard und somit auf einer Technik der 80er Jahre. Neue Technologien wie MPEG-4 könnten viel sparsamer mit den Frequenzen wirtschaften und wären deshalb billiger und multimedialer. Das neue Kapitel im Digital Radio solle mit DVB-H geschrieben werden, einer Weiterentwicklung des DVB-T-Standards, der ganz nebenbei bemerkt ebenfalls auf dem veralteten MPEG-Layer-2 beruht, oder mit DMB, einer Video-Variante von DAB.
Dabei ist die Fusion der Mobilfunk- und TV-Industrie für neue multimediale Mediendienste das eigentliche Anliegen von Dr. Hege, dem Präsidenten der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Radio spielt in seinem Konzept eine eher untergeordnete Rolle. Schließlich könne heute ein Handy auch für den Radioempfang verwendet werden und das hochmoderne Sendeverfahren für die digitale Lang-, Mittel- und Kurzwelle, DRM, eigne sich bestimmt dazu, das UKW-Rundfunkband irgendwann einmal zu übernehmen. Berliner Bären sind gummiweich.
Insel-Lösungen statt Europa-Normen
Mit der neuen Idee, so glauben Kritiker, begibt man sich in die Hände der Mobilfunkunternehmen. Sicherlich eine Anspielung auf Feldtests mit DVB-H, also der Handy-Videofonie, die - welch eine Überraschung - von Vodafone in Berlin durchgeführt werden. So warnt Felix Kovac, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) in einer Stellungnahme sodann auch eindringlich davor, die zukünftigen Strukturen nur auf die Bedürfnisse der „Globalplayer“ der Mobilfunkbranche auszuweiten: „Radio ist und bleibt ein regionales Medium“, betont Kovac und verweist auf den Erfolg gerade derjenigen Radioprogramme, die in Ihrer Region verwurzelt sind.
Die technische Diskussion um DAB ist auch deshalb abwegig, weil man sich international auf die Digitalisierung des Rundfunks auf Basis von MPEG-2 geeinigt hat und dieser Plan langsam aber sicher in fast allen europäischen Staaten umgesetzt wird. In einigen Ländern - dank klarer Einführungsstrategie - bekanntermaßen mit erheblich mehr Erfolg als in Deutschland.
Rundfunknormen können die Fortschrittsgeschwindigkeit der Digitaltechnik nicht abbilden. Noch heute hören wir Radio auf UKW und schauen 625-Zeilen-PAL-Farbfernsehen mit dem DVB-T-Receiver.
DMB und DVB-H werden ihre Marktchancen suchen und auch ohne DAB-Abschaltung finden können.
Auf dem Rücken der Verbraucher
Nach der Einstellung des Digital Satelliten Radio (DSR) mit 100.000 Nutzern nun noch DAB mit etwa 80.000 Nutzern gegen die Wand zu fahren, dürfte bei den Verbrauchern lediglich verbrannte Erde zurücklassen. Ein neues System, mit dem Bund- und Länderinstitutionen neue Subventionstöpfe öffnen, wäre dem Steuerzahler nicht mehr zu vermitteln. Negative Auswirkungen auf DVB-T oder breitbandige Mobilfunkdienste wären ebenso wenig auszuschließen.
Die Einführung einer neuen Technologie im Medienbereich, wie von der MABB skizziert, würde in Deutschland an den gleichen Symptomen leiden, an denen Digital Radio heute schon erkrankt ist. Die Fusion von Handy, Fernsehen und Radio wird vor allen Dingen durch den ordnungspolitischen Rahmen in Deutschland behindert, glaubt Prof. Dr. Eberspächer von der TU-München: „Getrennte Zuständigkeiten für Mediendienste (Länder) und Teledienste (Bund) stehen dem Zusammenwachsen der Nutzungsmöglichkeiten (Massenkommunikation und Individualkommunikation) im Wege, obwohl die Grenzen zwischen diesen beiden Kommunikationsformen zusehends verschwimmen.“
Glaubt man einfach blind, wovon Ingenieure träumen, dann hat DVB-T technisch mit DVB-H ausgedient. Auf der Wunschliste steht eine zügige Migration weg von MPEG-2 und hin zum Codec H.264/AVC ganz oben. Damit ließen sich doppelt so viele Programme unterbringen. Niemand kommt deshalb auf den Gedanken, DVB-T abzuschalten. Denn DVB-T ist politisch gewollt und alle Beteiligten ziehen an einem Strang.
Investitionen nutzen statt jammern?
Von diesem gemeinsamen Strang kann Helmut Egenbauer, Vorsitzender der Initiative Marketing Digital Radio, kurz IMDR, nur träumen. „Alleingänge einzelner Bundesländer verunsichern die Marktpartner“, befindet er in seiner Reaktion (Quelle) auf das Abschaltszenario aus Berlin. Zu diesen Marktpartnern zählt insbesondere die Automobilindustrie.
Die Automobilhersteller halten dabei die audiovisuellen Datendienste im Bereich der Verkehrstelematik für ein weitaus gewichtigeres Pro-DAB-Argument, als die bessere Klangqualität. Schließlich kann DAB sehr kostengünstig visuelle Informationen übertragen.
Datendienste über DAB, so heißt es dann auch in der IMDR-Stellungnahme weiter - gerade auch mit Bilddarstellung auf Mobiltelefonen, PDAs oder Navigationsgeräten - werden in Deutschland daher auch keineswegs abgeschaltet, sondern mit Unterstützung der Europäischen Union eingeführt.
Es wirkt!
Die Diskussion zeigt bereits Spuren und das gerade zu einer Zeit, in dem sich Handel und Gerätehersteller intensiver als je zuvor mit dem Thema Digital Radio befassen. Christiane Albrecht, Geschäftsführerin der Firma Alan Electronic ließ gegenüber dem Heise-Newsdienst (Quelle) ihrem Unmut freien Lauf: „Wir sind regelrecht überfallen worden“, sagte sie und warf der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ebenfalls einen Alleingang vor. Diese Art der Pressearbeit lässt kaum auf gute Umsätze für das bevorstehende Weihnachtsgeschäft hoffen.
In der Redaktion von reinHÖREN steht seither das Telefon nicht mehr still. Neben verunsicherten Lesern, sind es vor allem Gerätehersteller, die gerade erst in den deutschen DAB-Markt einsteigen oder einen Einstieg für 2005 geplant haben. Sie sind an unserer Einschätzung der Lage interessiert. Tatsächlich gehören die großen Namen der Unterhaltungselektronik-Branche zu den regelmäßigen Lesern unserer Zeitschrift, ohne derzeit auch nur ein DAB-Radio im deutschen Lieferprogramm zu führen.
Klarheit schaffen
Nun liegen die Karten auf den Tisch und sogar die stillen DAB-Kritiker werfen sich plötzlich in Pose. Die Diskussion entfaltet Dynamik und man kann nur hoffen, dass sie mit Nachhaltigkeit geführt wird, damit man - nachdem sich die ersten Wogen geglättet haben - nicht einfach so weiterwurschtelt wie bisher.
Eine Abschaltung von DAB und die bewusste Abkoppelung von Europa ist weit weniger wahrscheinlich, als ein länderübergreifender Konsens, die Schwächen von Digital Radio beseitigen zu müssen, um einer positiven Marktentwicklung den Boden zu bereiten.