Die IFA 2007 hat trotz hoch gesteckter Erwartungen der Branche wenig Konkretes für Digitalradio gebracht. Woran hat es gelegen? reinHÖREN hat darüber mit dem Medienexperten Mathias Priebe gesprochen, der in seiner Master-Arbeit an der Steinbeis-Hochschule-Berlin die Perspektiven des digitalen Radiomarktes in Deutschland beleuchtet hat.
Seit mehr als einem Jahrzehnt gibt es Digitalradio DAB in Deutschland. Haben Sie auf der Funkausstellung nicht doch neue Impulse gespürt?
Ja und Nein. Ja, wenn wir uns einzelne technische Verbesserungen wie DAB+ ansehen. Das ist allerdings keine echte Innovation, sondern eine dringend notwendige Weiterentwicklung des Übertragungsstandards. DAB ist in die Jahre gekommen noch bevor es bei den Radiohörern angekommen ist. In den Ankündigungen der Branche vermisse ich das lang erwartete Aufbruchsignal. Ein Signal, das unsere Nutzer verstehen und deshalb einen echten Anreiz zum Umstieg auf Digitalradio bietet.
Wie muss Ihrer Meinung nach ein solches Signal aussehen?
Liebe Hörer, wir haben verstanden! Wir bieten euch Radio in einer neuen inhaltlichen Vielfalt, mit neuen Möglichkeiten der Beteiligung. Das neue, digitale Hörerlebnis - womit auch immer wir es „on air” bringen - macht Spaß. Wir bieten euch neue, innovative Inhalte und einfache, sichere Empfangsmöglichkeiten. Wenn wir nach der Technologiediskussion aus dem letzten Jahrhundert endlich herauskommen und eine echte Programmoffensive starten, wird der Umstieg auf digitales Radio gelingen. Schneller als wir uns heute vorstellen können.
UKW-Radio erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Warum erreicht der digitale Bruder nicht ähnliche Hörerzahlen?
Es sind ja inzwischen eine ganze Reihe digitaler Geschwister. Wenn Sie auf DAB abzielen, dann gibt es eine wichtige Erfahrung aus der Pilotphase: Das ursprüngliche Ziel, Radio in CD-Qualität anzubieten, trifft nicht den Nerv der Hörer. Radiohörer schalten ein, um gut informiert und unterhalten zu werden. Dafür reicht analoges UKW-Radio allemal aus. Was Digitalradio fehlt, ist ein echter Zusatznutzen. Das können Download-Angebote sein oder zeitunabhängige Sendungen. Das stärkste Argument für Digitalradio ist aber eine neue Programmvielfalt, die DAB allein schon aus Kapazitätsgründen nicht bringen konnte - von Regulierungsschranken und ähnlichen Problemen ganz zu schweigen.
Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, aber Download-Anforderungen per DAB sind in England schon auf Sendung. Der Elektronische Programmführer EPG bringt Mehrwerte, wie die automatische Sendungsaufnahme. Bei Ihnen klingt es so, als sei die Branche mit DAB komplett auf dem Holzweg.
In seiner jetzigen Form eindeutig ja. DAB kann in Ballungsräumen nicht einmal UKW abbilden, geschweige denn zusätzliche Sender übertragen. Wenn wir also von einem Substitut der Radionutzung und nicht von einer komplementären Technologie sprechen, reicht DAB einfach nicht aus. Das ist aber nach meiner Analyse sekundär. Entscheidend ist, dass der Codec nicht zukunftssicher ist. Wir brauchen ein Digitalradiosystem, dass langfristig sicheren Empfang bietet. Ob das DAB+ sein wird, kann ich nicht einschätzen.
Sind neue Radioformate wie Visual Radio der richtige Weg?
Das sind interessante Entwicklungen aber Radio sollte sich auf seine Stärken besinnen und nicht krampfhaft versuchen, zum Fernsehen zu werden. Interessant zu betrachten sind Podcasting oder die massenhafte Verbreitung von MP3-Playern. Radio steht heute im digitalen Wettbewerb mit solchen Anwendungen vor allem in jungen Zielgruppen. Auf der IFA prägte sich mir ein Bild ein: Junge Menschen, die an den wenigen Ständen mit Digitalradios einfach vorbeigehen. Viele von ihnen haben dabei Stöpsel im Ohr: die Kopfhörer ihrer iPods oder MP3-fähigen Mobiltelefone. Stattdessen ein riesiges Gedränge beim iPhone - dem Multimediatelefon von Apple. Das Ding kann alles - nur kein Radio! Das ehemals schnellste und mobilste aller Medien verpasst den Anschluss an die mobile, digitale Medienwelt. Digitalradio gehört in jedes Handy. Technisch ist das kein Problem.
Innovationen für das Radio entstehen nicht aus unseren halbwissenden Diskussionen über neue Audiocodes. Wo kommen die wichtigen Impulse also her?
Innovationen, die ganze Märkte verändern, sind keine Ingenieurleistung einzelner Personen oder einzelner Institutionen bzw. Institute. Auch wenn sie sich auf der IFA immer noch gern so präsentieren. Die gesamte Radioszene; Sender, Vermarkter, Netzbetreiber, Werbekunden und nicht zuletzt Radiomacher und Hörer selbst müssen herausfinden, wozu Digitalradio nützlich ist. Es kommt mir manchmal so vor, als hätten wir die Dampfmaschine erfunden und noch nicht verstanden, dass man damit auch Eisenbahnen und Schiffe antreiben kann. Machen wir dem guten alten Dampfradio endlich richtig Dampf!
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Mathias Priebe (39) ist Master of Buiness Administration (MBA) in Media Management.
Er arbeitet als Autor, Moderator und Medienberater und hat mehr als 15 Jahre Radio- und Fernseherfahrung.
Nach umfangreichen Studien zu den Perspektiven des Radiomarktes an der Steinbeis Hochschule Berlin bietet Mathias Priebe - Media Concepts Beratung für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und Programmstrategien an.