In Brüssel trafen sich am Mittwoch Zulieferer, Autohersteller und Digitalradioverantwortliche aus Europa zu einem Meinungsaustausch. WorldDMB, das globale Vermarktungsorgan der DAB-Standardfamilie, lud ein und 160 Delegierte kamen. Zu betonen, dass der Trend zum Digitalradio in Europa unumkehrbar sei, war eigentlich überflüssig. Digitalradio wird zur Standardausstattung, weil die Kundennachfrage dies verlangt.
In der Diskussion um die Integration von Digitalradio in die Neufahrzeuge hatten die Autohersteller bislang immer das Tempo raus genommen. Der alte DAB-Standard wurde nur zu Premium-Aufpreisen im Premium-Segment mit bedient. Dabei stand damals der Vermarktungsansatz, dass das Digitalradio vom Auto auf die Wohnzimmer übergreift ganz hoch im Kurs. Als der Standard von DAB auf DAB+ gewechselt werden sollte, baten Autohersteller um fünf bis sechs Jahre Zeit. Zum einen, um die Neuwagenkunden zu schützen und zum anderen, weil man sich gefälligst an die Modellentwicklungszyklen zu halten hätte.
Auch das Connected Car hat ein Radio
Das Digitalradio beim Autokäufer einmal Thema werden könnte, darauf hätte vor zehn Jahren niemand hoch gewettet. Der DAB-Marketingansatz vom Auto ins Wohnzimmer war ohnehin falsch. Heute kann man feststellen, was in der Küche beim Frühstück Spaß macht, will man gerne ins Auto verlängern.
Auch der Gedanke, dass die Automobilindustrie nur rein planwirtschaftlich in Modellzyklen Innovationen integriert, ist inzwischen völlig passé. Im Gegenteil, der Konsument erwartet heute alternative Antriebe und er bekommt sie. Den Neuwagenkäufern ist die Aux-In-Klinkenbuchse ins Autoradio zu wenig. Die Hersteller locken mit voller Smartphone-Integration. Und die Trends, hin zum Connected Car, mit der Vision zum autonomen, automatisierten Verkehr werden Zug-um-Zug mit immer neuen Fahrerassistenzsystemen Wirklichkeit.
Zwischen all den neuen IP-gestützten Entwicklungen steht das Radio fast etwas verloren da. Doch der Eindruck täuscht, denn seine Stärke liegen in lokaler Information, Verkehrsnachrichten und Wetter, ohne dabei die Konzentration auf den Straßenverkehr zu beeinträchtigen. Darauf wollen selbst vernetzte Autofahrer nicht verzichten. Die Vorteile von Digitalradio DAB+, der störungsfreie Empfang und einer Auswahl von auf langen Strecken durchgehend verfügbaren Programmen, spricht sich herum. König Kunde bringt mit seiner Nachfrage neue Dynamik in die Entwicklung.
Digitalradio in anderen EU-Ländern öfter an Bord
In Großbritannien ist DAB eine feste Größe; für den UKW-Ausstieg sind Kriterien definiert. In Norwegen ist die UKW-Abschaltung für 2017 nunmehr beschlossen. Die Autoindustrie zieht mit: Zwei Drittel aller Neufahrzeuge haben Digitalradio an Bord. In Norwegen mahnte die Verbraucherschützer bereits, dass Autokäufer erwarten können, ein Radio zu erhalten, welches auch in fünf Jahren noch funktioniert. Die Hersteller könnten zu einem Schadensersatz verpflichtet sein. Wer will, kann natürlich eine UKW-Ausstattung bestellen. Der Hinweis auf die UKW-Abschaltung im Verlauf von 2017 und die Empfehlung eines DAB-Radios sollte aber ein, möglicherweise dokumentierter, Bestandteil des Verkaufsgespräches sein.
In der Schweiz ist DAB ebenfalls ein Erfolg, mit einem denkbaren UKW-Ausstiegsszenario für 2024. Seit 2015 ist in der Schweiz ein Digitalradio bei BMW, Ford aber auch bei Toyoto und Seat Bestandteil der Serienausstattung.
Selbst in Italien sind die Hersteller beim Thema Digitalradio hellwach. Das Netz bringt es zwar erst auf 68 % Flächendeckung, aber die DAB-Versorgung entlang der Autobahnen soll schon über deutlich 90 % liegen. Mit gezielten Marketingaktionen wurde die Neugierde der Italiener geweckt und prompt bewirbt Fiat seinen 500L in den Zeitungen tatsächlich mit dem Argument Digitalradio serienmäßig. Auch Nissan folgte dem Beispiel.
Im Brüsseler Veranstaltungsraum glänzte am Mittwoch ein kanariengelber Renault Twingo mit DAB-Radio im Scheinwerferlicht. Renault und Digitalradio? Das passte noch vor einem Jahr nicht zusammen. Heute ist das DAB+Radio mit Bluetooth und Freisprecher sowie Smartphone-App zur Medienbedienung selbst im Twingo III der mittleren Ausstattungsstufe (10.600 Euro) serienmäßig dabei.
Deutschland kündigt Vollversorgung für 2016 an
In Brüssel hatte der deutsche Sendernetzbetreiber Media Broadcast, verantwortlich für die Verbreitung des bundesweiten Programmpakets im Digitalradio eine kurze, aber prägnante Botschaft für die Autobauer im Gepäck: „Wir haben gemeinsam mit unseren Programmveranstaltern den Ausbau des Sendernetzes von heute 61 auf 110 Sender bis Ende 2016 vereinbart“, sagte Thomas Wächter, Leiter der Produktmanagements im Bereich Radio. Für die Autobahnen und Fernstraßen verspricht Wächter damit eine quasi lückenlose Vollversorgung. Bereits Ende 2015 werden mit 80 Sendern und
Leistungserhöhungen an zehn Senderstandorten die vereinbaren Mindestversorgungsziele der Bundesnetzagentur erreicht. Im Gespräch mit reinHÖREN verriet Wächter, die Vollversorgung sei eine Bedingung der Autohersteller gewesen, um DAB serienmäßig in die Fahrzeuge zu bringen.
Die letzten – inzwischen sicher überholten Zahlen – sahen für Deutschland nur eine DAB-Radioquote von 10 % in den Neuwagen. Kundennachfrage und die Zusage zum Vollausbau sollten hier aber auch Wirkung zeigen.
Mehr Sicherheit und bessere Navigation auch ohne Mobilfunk
Ein wichtiger Aspekt ist die Frage, wie das Digitalradio sich mit dem modernen Ökosystem zwischen Online-Multimedia und Navigation integrieren lässt. Die Firma Mediamobile wies auf ihr TPEG-basiertes V-Traffic hin. Im Vergleich zum UKW-TMC bietet TPEG deutlich schnellere und wesentlich ausführlichere Verkehrsinformationen. Gefahrstellen, ob Unfall, Wildwechsel oder Nebelbank können auf 10 Meter genau gemeldet und durch ein Navigationsgerät ausgegeben werden. Das Mobilfunknetz muss dafür nicht in Anspruch genommen werden. Die V-Traffic TPEG-Signale stehen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Norwegen sowie im Verlauf des Jahres auch in Italien, Großbritannien und Polen zur Verfügung. Der digitale Rundfunk bringt im Auto somit mehr als nur rauschfreien Empfang, er bietet ein Plus an Sicherheit und spart durch intelligente Routenführung Staustunden ein, ohne im laufenden Betrieb zusätzliche Kosten durch mobilen Datenverbrauch zu verursachen.