Im Internet finden Verschwörungstheorien stets dankbare Abnehmer. Geradezu apokalyptische Phantasien erzeugt ein grimmiges Summgeräusch auf der Kurzwellenfrequenz 4.625 kHz. Das Geräusch wird inzwischen via Internet übertragen. Gänsehaut pur: Steht ein Atomschlag bevor, wenn die Station UVB-76 ihren Ton verändert?
Irgendwie bedient diese Geschichte die Klischees des Kalten Krieges. Ein bedrohlich klingendes Geräusch, Kurzwelle, Russland. Und wir - die Hörer im Westen, ängstlich auf den Untergang der Welt wartend.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Station, die inzwischen ehrfurchtsvoll „The Buzzer“ genannt wird, tatsächlich ein Überbleibsel des kalten Krieges. In den 1980er Jahren war die Kurzwelle voll von Störsignalen, um die Radiopropaganda der Gegenseite zu blockieren und Zahlensendern, die blechern Nummernfolgen übertrugen, deren Kodierungen Handlungsanweisungen für Agenten enthielten.
Kurzwellenhörer beobachten die Station UVB-76 etwa seit 1982. Während der Krieg der Ätherwellen in Europa im Zuge der Perestroyka hörbar abebbte, blieb der Summer auf 4.625 kHz auf Sendung. Doch ist UVB-76 weder ein Störsender noch ein Nummernsender. Im Internet lässt sich gut ein Hype um dieses Geräusch erzeugen.
Inzwischen hat UVB-76 nicht nur ein Internet-Relais, sondern ist auch auf Facebook vertreten. Bei diversen Gratis-Hostern wie Google-Sites und Starbucks liegen angebliche UVB-76-Homepages.
Totmannschaltung für Atomraketen?
Die zum Teil sehr detaillierten Information, die diese Webseiten streuen, weisen ein Moskauer Militärkommando als Betreiber aus. In der englischen Wikipedia erläutert ein umstrittener Beitrag, dass es sich um eine Art „Totmannschaltung“ für Raketenabschussbasen handelt. Der Ton würde per Mikrofon und Landleitung auf den Sender übertragen. Damit soll das Bild vermittelt werden, dass der Ton ausfällt, wenn das Militärkommando zerstört wird. Eine abenteuerliche Geschichte, die schnell absurd wird, wenn es stimmen würde, dass die Sendestation nur 40 km vor den Toren Moskaus liegen sollte.
Von der Sendestelle, deren geografische Koordinaten mit 56°04'58” N/37°05'22” angegeben werden, kursieren etliche Fotos.
56.08 N/37.08 E auf einer größeren Karte anzeigen Google-Maps
Die Satellitenbilder zeigen tatsächlich eine im Wald versteckte Anlage. Näheres ist den Satellitenbildern kaum zu entnehmen. Die Drahtantennen sind aus der Vogelperspektive nicht zu erkennen. Möglicherweise sind die zwei markanten kreisrunden Flächen das Betonfundament der Tragemasten. Die Satellitenbilder zeigen eine Geländeaufteilung, die mit den angeblichen Fotos der Station nicht recht korrespondieren will. Auch von massiven Absperrvorrichtungen kann auf den Fotos keine Rede sein. Sollten diese Fotos authentisch sein, spricht das klar gegen eine wesentliche strategische Bedeutung der Sendestelle.
Jetzt sind noch weitere Bilder – angeblich vom Inneren der Sendestation aufgetaucht. Wo auch immer die Bilder gemacht wurden, da summt jedenfalls nichts mehr. Zwar könnte es sich in einem der Fotos um einen Raum mit Kurzwellensendern handeln, aber alles andere ist definitiv Vandalen zu Opfer gefallen. Keines dieser Blogs belegt irgendetwas, sondern fügt nur mehr Diffuses hinzu.
Der Tübinger Spezialist Jörg Klingenfuss, ein weltweit anerkannter Experte für Nutzsender auf Kurzwelle, hat keine näheren Erkenntnisse zu dieser Station – wohl auch deshalb, weil die Station kein erkennbares Nutzsignal überträgt.
Ein Insider aus Litauen
Vielleicht ist aber doch nicht alles Quatsch, was um das mysteriöse Signal auf 4.625 kHz geschrieben wird. Die beste Informationsquelle stammt aus Litauen. Rimantas Pleikys, selbst Funkamateur, arbeitete bereits 1976 - und damit zu Sowjetzeiten - als Operator an der Radio- und TV-Relaisstation Druskininkai - heute im Süden Litauens, im Dreiländereck von Polen, Litauen und Russland gelegen.
In den 1990er Jahren war Pliekys in Litauen nicht nur Minister für Telekommunikation, sondern auch Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates. Im Jahr 1998 veröffentlichte er ein Buch über die Geschichte der Störsender und verblüffte die Fachwelt mit einer Fülle an Originalquellen und Zeitzeugenberichten zu den Störsenderaktivitäten der UdSSR. Demnach waren allein in der Sowjetunion über 2.500 Störsender in Betrieb. Die staatliche Störindustrie beschäftigte etwa 5.000 Menschen, bis 1988 die Anordnung erfolgte, die Störsender abzuschalten.
Eben jener Rimantas Pleikys bestätigte angeblich die Information, dass es sich bei UVB-76 um eine Anlage handele, deren militärische Funktion mit den EAM-Sendernetzen der USA vergleichbar sei. Eine Emergency Action Message (EAM) dient in der Tat dazu, Anweisungen an Truppenabschnitte zu übermitteln, wenn das Oberkommando nicht mehr handlungsfähig ist. Das digitale EAM-System ist in Wahrheit kaum mit den militärischen Frequenzmarkern der russischen Kurzwellensender zu vergleichen. Gleichwohl übertragen Sender wie UVB-76 kodierte Mitteilungen an Truppenabschnitte und erreichen die Adressaten auch dann noch, wenn ein großer Teil der drahtgebundenen Infrastruktur beschädigt ist.
Obwohl Rimantas Pleikys auch bei der Wikipedia als Referenz genannt wurde, blieben unsere Anfrageversuche in Litauen bisher ohne Antwort.
Verdächtig? Militärkommando schweigt sich aus
Ebenso brachte unsere schriftlich verfasste Anfrage an das Armee-Oberkommando in Moskau nach nunmehr acht Wochen keine neuen Auskünfte zu Tage. Cyber-Mystiker mögen darin weitere Indizien einer weitreichenden nuklearen Steuerfunktion der ominösen Sendestation erkennen.
Auf jeden Fall ist „The Buzzer“ eine Erinnerung daran, dass trotz Auflösung des Ost-West-Konflikts die Infrastruktur der militärischen Abschreckung noch in Funktion geblieben ist. Solange der Summer auf 4.625 kHz aktiv bleibt, ist demnach alles in bester Ordnung.