Radio der Zukunft

Radio der Zukunft Mario Gongolsky

Studenten des Fachbereichs Technikjournalismus an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg hatten zwei Tage die Gelegenheit sich intensiv mit dem Thema Radio im Digitalzeitalter zu befassen. Nach einem Überblick und Vorführungen moderner digitaler Radiolösungen glichen die Studenten im Alter zwischen 20 und 32 Jahren ihre eigenen Nutzungspräferenzen mit den technischen Potenzialen der diskutierten digitalen Radiovertriebssysteme ab; mit teilweise überraschenden Ergebnissen.

Das Radio ist in einer Krise. In Deutschland wurde der frühe Migrationsprozess über DAB in das Digitalradio-Zeitalter verschlafen. Mit dem Resultat, dass Radio in den jungen Zielgruppen von 14 bis 29 Jahren im Verlauf von nur acht Jahren rund ein Drittel seiner durchschnittlichen Hördauer verloren hat. Die Teilnehmer der Workshops „Radio der Zukunft“ gehört im Wesentlichen selbst in diese Altersgruppe, bei der das Radio nicht mehr recht punkten kann. Schon bei der ersten Frage zur Radionutzung offenbart sich, dass 30 Prozent der Teilnehmer kein Radio hören, kein UKW-Radio haben oder Radio allenfalls als Webstream aus dem Internet konsumieren.

Im Verlauf des Workshops werden dem Radio allerdings einige Vorteile zuerkannt. Dazu gehört die begleitende Nutzung und die zeitliche Linearität. Radio soll live sein. Das Gefühl vermitteln, dass dort im Funkhaus ein Moderator sitzt, der den Hörer persönlich anspricht. Der reine Musikstream vermag ein solches Gefühl nicht zu vermitteln. Schon das ist ein Apell an das Radio, auch im digitalen Zeitalter sich auf seine Stärken zu berufen.

Interessant ist auch, dass die Studenten in der Regel Radio nur als UKW oder Webradio indentifizieren. Das Hörfunkverfahren DAB war weitgehend unbekannt, Radioübertragungen über DMB/Handy-TV ebenso. Das DRM-Verfahren war ebenso unbekannt. Das Kürzel wurde erwartungsgemäß als Digital Rights Management übersetzt.

Nach eingehender Befassung mit den digitalen Hörfunksystemen konnten die Teilnehmer insbesondere der Funktion „ReVu“/„Pause Plus“ einen gewissen Reiz abgewinnen. Mit solchen Funktionen ist es möglich, das DAB-Radioprogramm zu unterbrechen, fortzusetzen und innerhalb des Zwischenspeichers vor- und zurückzuspulen. Auch der EPG, also die Radioprogrammzeitschrift wurde als nützlich empfunden.

Die Ergebnisse des Workshops - das sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt - ist aufgrund der beruflichen Disposition der Studenten als Technikjournalisten nicht repräsentativ und auch der Abgleich zwischen Systemmöglichkeiten und Nutzerpräferenzen sollte nicht als wissenschaftlich-methodisches Ergebnis fehlinterpretiert werden. Es handelt sich nur um ein Diskussionsergebnis des Workshops, wobei die Ergebnisse allerdings für alle Beteiligten einigermaßen überraschend waren. Lesen Sie im Folgenden, was die angehenden Technikjournalisten vom Digitalradio halten.

Die Systeme

Die Systeme Mario Gongolsky

DAB

Das digitale Radioformat DAB (Digital Audio Broadcasting) ist in Deutschland seit 1999 verfügbar. Derzeit erreicht es eine Flächenabdeckung von 85 Prozent. Das System konnte sich aber nicht durchsetzen. Lediglich 350.000 DAB-Radiogeräte gingen bisher über die Ladentheke – das ist bei 250 Millionen UKW-Radios in deutschen Haushalten verschwindend wenig.

Das Projekt DAB ist gescheitert. Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger ist, dass derzeit an einem Standort selten mehr als acht Sender in akzeptabler Audioqualität empfangbar sind, die größtenteils auch per UKW hörbar sind. Ein überzeugender Vorteil in Form einer neuen Programmvielfalt gegenüber dem alten Radio fehlt also.

Technisch ist die digitale Radiotechnik der herkömmlichen jedoch überlegen. Viele der digitalen Radiogeräte ermöglichen neben dem Hören zeitgleiches Aufzeichnen, so dass der Hörer im Radioprogramm vor- und zurückspulen kann.

Ein neues Projekt zu Digitalisierung des Radios ist aktuell „DAB+“. Das funktioniert weitgehend wie DAB, hat jedoch hinsichtlich der Audiocodierung deutliche Vorteile. Im Verbund mit den 2006 zugewiesenen Frequenzressourcen wäre die Übertragung von 100 Radioprogrammen in realisierbarer Reichweite.

DMB und DVB-H

Die digitalen Übertragungsformate DMB (Digital Multimedia Broadcasting) und DVB-H (Digital Video Broadcasting Handheld) können Fernseh- und Radioprogramme übertragen. Das ist ein Problem: Denn für ein einfach zu bedienendes Radiogerät dürfte die Möglichkeit der Fernsehübertragung nicht genutzt werden. Dass Hersteller aber Geräte anbieten, bei denen bewusst auf die Fernsehfunktion verzichtet wird, ist unwahrscheinlich.

Zudem gibt es noch kein schlüssiges Konzept für Fernseh- und Radioprogramme, die per DMB oder DVB-H verschickt werden.

WLAN

Radio über WLAN (Wireless Lan) hat eine Eigenschaft, die alle anderen Übertragungstechniken fehlen: eine scheinbar unbegrenzte Anzahl von Radiosendern aus der ganzen Welt. Auch Geräte gibt es schon, die per drahtlosem Internet Webradiosender empfangen und einem normalen Küchenradio sehr ähneln. Die Übertragungsqualität hängt von der Internet-Bandbreite und dem angebotenen Stream ab - es können also durchaus Aussetzer auftreten, auch über einen längeren Zeitraum.

Last-fm

Das Internetangebot Last-fm ist kein klassisches Radioprogramm, da jeglicher Wortanteil fehlt. Der Nutzer kann seine bevorzugten Interpreten und Musikrichtungen angeben. LastFM findet anhand dieser Daten Musik, die der angegeben Musikrichtung entspricht. Vorteil: Man hört in der Regel nur die Musikrichtung, die gefällt. Nachteil: Der Nutzer hört nur dann Musik aus fremden Genres, wenn er sich vorher dafür entschieden hat.

DRM

DRM (Digital Radio Mondiale) ist die digitale Form der Kurzwellen-Radioübertragung. DRM ermöglicht das Versenden von Radioprogrammen über lange Strecken – mit ein bisschen Glück kann man so in Deutschland auch Sender aus Südamerika empfangen, die Empfangsqualität ist jedoch nicht immer einwandfrei. Zwar sind in Deutschland circa 30 Sender per DRM zu empfangen, das sind in der Regel jedoch Auslandsdienste, die eine sehr spezielle Zielgruppe ansprechen. Interessant ist DRM als Möglichkeit das heutige UKW-Rundfunkband zu digitalisieren. Da aber kein Hybridbetrieb, also der simultane Empfang von analogem UKW-Programm oder digitalem Programm nicht vorgesehen ist, bleibt die Einführungsstrategie hierfür noch unklar.

Vor- und Nachteile

Vor- und Nachteile Mario Gongolsky

Der Zustand des heutigen Radios ist ein universell verfügbares Massenmedium, dass ohne großen Kostenaufwand von jedem empfangen werden kann. Es dient als Begleitmedium, wird zeitlich linear genutzt und der Hörer empfängt es, ohne das Programm direkt beeinflussen zu können.

Das Radio hat jedoch technisch und inhaltliche einige Schwächen:

  • Rauschen bei schlechtem Empfang
  • einseitig, kein Nutzereingriff möglich
  • keine deutschlandweiten Sender verfügbar (außer DLF/Deutschlandradio)
  • zu wenig programmliche Vielfalt
  • zu viel Werbung, Gewinnspiele, Call-ins
  • keine Möglichkeit zum „Vorspulen“ oder „Zurückspulen“
  • zeitunabhängige Nutzung nicht möglich
  • Informationen + Programme werden nicht zielgerichtet versendet (Stau-Meldungen, Interpret-Info, …)
  • Streckenweise nervige Moderator ohne sachliche Kompetenz

Das Radio hat dennoch auch seine Vorzüge:

  • Hintergrundnutzung
  • mobile Nutzung
  • Zeitvertreib
  • Nachrichten
  • Aktualität
  • Lokalbezug

Die Problematik ist, dass immer weniger junge Menschen das Medium Radio nutzen. Das liegt unter anderem daran, dass die Jugendlichen heutzutage gewöhnt sind, sich ihre Musik und Informationsinhalte selbst zusammenstellen zu können. Die Programmwelt ist nicht vielfältig genug um den individuellen Geschmack des Einzelnen zu treffen. Dennoch wünschen wir uns einen Moderator der Inhalte vermittelt und Empfehlungen ausspricht. Für die reine Aussendung einer Musik-Playlist wird das klassische Radio nicht benötigt.

Um die Hintergrundnutzung des Radios - die als Stärke gesehen wird - zu schützen, ist eine ausgewogene Balance zwischen Musik und Wort wichtig. Zu viel Information und Werbung wird als nachteilig empfunden. Mit dem Radio konkurrieren das Mobiltelefon, das Fernsehen und natürlich das Internet.

Was sagen die Nutzer?

Was sagen die Nutzer? Mario Gongolsky

Drei Arbeitsgruppen zu drei Personen sollten die technischen Möglichkeiten der Radio-Systeme UKW, DAB(+), DMB/DVB-H, WLAN-Webradio, LastFM und DRM mit ihren Nutzungspräferenzen vergleichen. In der Summe der technischen Möglichkeiten machte das WLAN-Webradio klar das Rennen, aber in der Gewichtung mit den gewünschten Eigenschaften des künftigen Radiosystems stellten die Studenten fest, dass das Webradio viele Funktionen bietet, auf die keinen großen Wert gelegt wird.

Musikkauf uninteressant

So fiel die Funktion „Abruf von Inhalten on demand“ praktisch durch. Nur eine Gruppe wollte auf das Feature nicht verzichten. On-Demand-Inhalte gibt es als Podcast im Internet. Im Radio ist diese Funktion verzichtbar, lautete das Votum. Keine Gruppe hatte Interesse am Onlinekauf von Musik über das Radio. Recht folgerichtig ist auch die Möglichkeit der verlustfreien Aufnahme nicht besonders gefragt.

Skalierbarer Informationsabruf

Eine Gruppe entwarf als Wunsch die Funktion eines Info-Buttons. Mit dem lässt sich der Radiotext speichern, weitere Informationen zu Titel und Interpret lassen sich herunterladen und das Musikstück kann in geringerer Audioqualität nochmals nachgehört werden. Derart umfänglich informiert, wäre eine Kauffunktion zur Nutzung eventuell interessant.

UMTS nicht abschreiben

Die Studenten haben an der Bewertungsmatrix noch mehr Erweiterungen angebracht. So war eine Gruppe der Ansicht das Thema Mobilfunk / UMTS sei keinesfalls außer Acht zu lassen. Mit sinkenden Datentransferpreisen hat UMTS in gut versorgten Ballungsgebieten durchaus Chancen. In Hinblick auf HSDPA und 4G könnte der Radioempfang per Mobilfunk ein Ernst zu nehmendes Thema sein.

DAB/DMB durchaus auf Höhe der Zeit

Beim Abgleich der Nutzerpräferenzen mit den verfügbaren Digitalradiosystemen siegt in der Ausgewichtung das Handy-TV (wegen der einmalig gewünschten Bildoption) mit einem Punkt vor dem Digitalradio-System DAB(+). Technisch betrachtet bietet die DAB-Familie also immer noch die Funktionen, die auch von in einer recht jungen Zielgruppe gewünscht wird. Doch eines ist ebenso klar: Über den Anziehungskraft des Radios entscheiden nicht allein technische Systemparameter, sondern die Qualität und Präsentation des Programmangebots.