Kurzwelle - Welt ohne Schranken

Kurzwelle - Welt ohne Schranken Mario Gongolsky

Der internationale Rundfunk hat seine eigenen Wünsche und Gesetze. Hier steht die flächige Verbreitung der Programme im Vordergrund, die auch nicht auf einen Kontinent begrenzt bleibt, sondern eine globale Empfangbarkeit erfordert. Um dem Programm eines Auslandsdienstes in der ganzen Welt Gehör zu verschaffen, gibt es bislang nur ein Medium: Die Kurzwelle. Doch mehr Hörer erreicht man heute in technisch entwickelten Regionen der Welt, wenn man den Verbreitungsweg wählt, auf dem die Hörermassen auch zuhören. Damit ist keinesfalls die Kurzwelle, sondern UKW gemeint. Doch leider ist eine weltweite Versorung mit allen Aulandsdiensten per UKW nicht möglich. Tatsächlich steht der Auslandsrundfunk vor dem Dilemma, per Gießkannenprinzip auf allen Verbreitungswegen Präsenz zu zeigen. Ein schwieriges Unterfangen, welches besonders in Fällen internationaler Krisen oder gar kriegerischer Auseinandersetzungen durch die Frage kompliziert wird, wer welchen Verbreitungskanal kontrolliert.

Ein „Gatekeeper” (= Torwächter) kann direkt oder indirekt politisch erpressbar sein und sperrt schlimmstenfalls Verbreitungswege der Auslandsdienste. UKW-Wiederaustrahlungen (Rebroadcasting), Satellitenausstrahlungen, Kabelaussendungen, überall liegen Stolpersteine auf dem Weg vom Sender in das Wohnzimmer des Hörers im Zielgebiet.

Besonders der Satellit wird gerne zur Verbreitung des Auslandsrundfunks benutzt. Für ihn sprechen unter anderem auch die Kosten, denn um einen Kontinent mit einem Radioprogramm versorgen zu können, reicht unter Umständen ein einziger Transponder, während auf anderen Verbreitungsmedien ein deutlich höherer Aufwand für eine zuverlässige Flächenabdeckung betrieben werden muss. Doch politisch motivierte Empfangsverbote für Satellitenausstrahlungen im Iran, Afghanistan und Nordkorea sprechen gegen den Satelliten als Radioversorger. Auch die Wirkung eines Torwächters, wie zum Beispiel die gesperrte Übertragung des serbischen Fernsehens während der NATO-Angriffe 1999, veranlasst durch die European Broadcasting Union (EBU), bei der Serbien sogar Mitglied ist, demonstriert eindrucksvoll die Unsicherheitsfaktoren für die internationale Programmverbreitung per Satellit.

Die Kurzwelle bleibt für die weltweite Hörfunkverbreitung durch Auslandsdienste eine gänzlich unverzichtbare Technik. Weder der Satellit noch das Internet kann etwas an dieser Tatsache ändern.

Wer hat schon einen PC mit funktionierender Telefon- und Internetverbindung im Keller, um im Kriegsfall Nachrichten zu hören? Welcher Flüchtling kann in seinem Bergversteck Satellitenradio hören? Ein Radio mit Kurzwellenteil funktioniert immer und überall. Aufziehbare Dynamoradios machen sogar teure Batterien überflüssig. Viele solcher Radios wurden 1999 an Kosovoflüchtlinge verteilt. 2001 warfen die US-Militärs derartige Radios über Afghanistan ab.

Auch umgekehrt finden politische Kräfte mit Sendungsbedürfnis aus Krisengebieten in der Kurzwelle ein geeignetes Medium. Ob Freischärler in Afghanistan oder die Untergrundbewegung für eine freie Sahelzone, mit einem kleinen Laster, einigen Metern Antennendraht, irgendwo in der Wildnis versteckt gehen sie auf Sendung und sind einige hundert bis viele tausend Kilometer weit zu empfangen.

So funktioniert die Kurzwelle

Die Radiowellen des Kurzwellenspektrums sind kurz genug, um nicht einfach in Bodennähe der Erdkrümmung zu folgen, aber nicht kurz genug, um die elektrisch geladenen Schichten der oberen Erdatmosphäre zu durchdringen. Die Wellen werden vielmehr oben von der Ionosphäre und unten vom Erdboden reflektiert. Derart zwischen Ionsophäre und Boden gefangen, können sie eigentlich die ganze Welt erreichen.

Soviel zur Theorie. In der Praxis entscheiden etliche andere wichtige Einflussparameter über die Güte der Wellenübertragung auf langen interkontinentalen Funkstrecken. Zum Beispiel die Frage, ob es Tag oder Nacht ist, Sommer oder Winter, und wieviel Sonnenflecke auf mehr oder weniger starke Erruptionsvorgänge der Sonnenoberfläche hinweisen. All diese Parameter verändern die Beschaffenheit der Ionosphäre und damit ihre Fähigkeit, Radiosignale der Kurzwelle zu reflektieren.

Beim Umgang mit einem Kurzwellenempfänger stellt sich ein brauchbarer Empfang meist erst dann ein, wenn die Auswirkungen solcher Parameter überhaupt bekannt sind. Um im Sommerurlaub in Übersee also erfolgreich die Deutsche Welle empfangen zu können, muss man die Frequenzen des Sommer- und Winterfrequenzplanes kennen und abhängig von Jahres- und Tageszeit mehrere Frequenzen ausprobieren.

Viele moderne Reiseempfänger haben Standardfrequenzen der großen Auslandsdienste vorprogrammiert und suggerieren damit Empfangserfolge auf Knopfdruck, die sich in der Praxis aber nicht immer einstellen wollen. Zu kompliziert in der Handhabung, zu schlecht in der Klangqualität, Millionen von durchaus leistungsfähigen Reisekurzwellenempfängern verstauben bis zum Urlaubseinsatz unter deutschen Badehosen.

Was ist zu hören?

Rund 3.000 verschiedene Sender können physikalisch gesehen in Mitteleuropa empfangen werden. Neben den großen Auslandsdiensten wie der Deutschen Welle, der BBC, der Voice of America oder Radio France Internationale tummeln sich insgesamt knapp 200 Länder auf der Kurzwelle und versuchen sich mit ihren Programmen Gehör zu verschaffen. Über 30 Sender strahlen übrigens auch Programme in deutscher Sprache aus.

Es sind aber nicht immer die Auslandsdienste, die Menschen im 21. Jahrhundert veranlassen, sich ein Hobby aus dem Radiohören auf Kurzwelle zu machen. Ein besonderer Reiz liegt sicher in den vielen auf Kurzwelle empfangbaren Inlandsstationen. Gerade für die nationale Rundfunkversorgung spielt die Kurzwelle in großflächigen Entwicklungs- und Schwellen- ländern eine Rolle. In eigens dafür eingerichteten Frequenzabschnitten, die gerne als Tropenbänder bezeichnet werden, kann man Zeuge brasilianischer Fußballübertragungen werden oder der Musik exotischer Länder lauschen.

Bin ich ein Kurzwellenhörer?

Der analoge Kurzwellenempfang spielt im Bewußtsein der Radiohörer heute keine Rolle mehr. Zugleich entwertet sich die Kurzwelle dadurch als politisches Instrument zur Meinungsbildung in Europa. Im deutschsprachigen Raum kann man von 50.000 bis 70.000 aktiven Kurzwellenhörern ausgehen, von denen der überwiegende Teil das Kurzwellehören als Hobby betrachtet.

Die theoretische, technische Reichweite ist dabei um ein Vielfaches höher, denn ein Reisekurzwellenempfänger findet sich in den meisten Haushalten. Genutzt werden diese Geräte aber in der Tat nur während der Urlaubszeit in fremden Gefilden, um damit die Deutsche Welle zu hören, oder Meldungen zu den Bundesligaergebnisse zu empfangen. Nicht immer sind diese Versuche von Erfolg gekrönt, denn die Kurzwelle benötigt kundige und informierte Benutzer, die Frequenztabellen lesen können und verstehen, zu welcher Tageszeit welche der angegebenen Frequenzen am besten zu empfangen ist. Selbst modernste Technik schützt vor Misserfolgen nicht. Die Wellenausbreitung hat ihre Unregelmäßigkeiten. Neben der schwierigen Handhabung ist auch der Klang weit davon entfernt befriedigend zu sein.

Tatsächlich ist bei Telefonqualität auch schon der klangliche Horizont der Kurzwelle erreicht. Besonders billige Reiseempfänger bringen viele Störgeräusche zu Gehör. Pfeifen und Kratzen von benachbarten Stationen, eine stark schwankende Lautstärke mit Verzerrungen. Kurzum, der Empfang bereitet kein akustisches Vergnügen.

Diese Faktoren führen dazu, daheim den Kurzwellenempfänger sofort wieder im Kleiderschrank einstauben zu lassen. Vergessen bis zur nächsten Fernreise.

Anders hören

Die Programme auf der Kurzwelle sind in aller Regel Wortprogramme. Einen Kurzwellen- empfänger schaltet man nicht einfach ein wie ein Küchenradio. Während man den Fernseher immer mit der Absicht einschaltet, fern zu sehen, schalten viele Menschen ihr Radio ein, ohne die Absicht zu haben, sich mit dem Hören der Radiosendung zu befassen. Radio ist vielfach eine Geräuschkulisse nebenbei. Wortprogramme auf Kurzwelle erfordern jedoch einen aufmerksamen Zuhörer.

Prognose

In den weniger entwickelten und weniger wohlhabenden Regionen der Erde, spielt die Kurzwelle sehr wohl eine Rolle. Da gibt es ein Radio im Dorf, um diese auf einer Holzplatte zusammengeschraubten Einzelteile und der alten Autobatterie versammelt man sich, um wenigstens einmal Nachrichten aus der Hauptstadt hören zu können.

In den Industriestaaten pflegt man einen wesentlich - sollte man sagen - unreligiöseren Umgang mit dem Radio? Seichtes auf Knopfdruck, in bester Klangqualität. Radio als akustischer Zierrat. Auch die Hörer von Informationssendungen erwarten Programme nach ihrem Geschmack im Handumdrehen. Die knisternde Kurzwelle ist da eine antiquierte technische Wissenschaft. Etwas für Freaks oder Nostalgiker. Erst im Krisenfall (Golfkrieg, Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien), wenn die gewohnten, komfortablen Informationskanäle zusammen zu brechen drohen, ist das Know-How der Kurzwellenhörer wieder gefragt.

Von einer zukunftsfähigen Kurzwelle erwartet der Radiohörer in Europa beim Klang zumindest Telefonqualität und eine entscheidend einfachere Handhabung, die Empfangserfolge garantiert. Nichts von alledem kann die analoge Kurzwelle heute bieten.

Doch die herkömmliche Kurzwellentechnik bleibt selbst bei Einführung eines neuen digitalen Verfahrens noch für mindestens 15 Jahre unverzichtbar. Um jeden Winkel der Welt zu erreichen, kann der Rundfunkveranstalter nicht davon ausgehen, dass die Landbevölkerung in Entwicklungsgebieten in der Lage sein wird, ein neues Radio zu kaufen, dessen Preis etwa einem Jahreseinkommen entspricht.

Der Hörfunk wird digital und macht auch vor der rauschenden und pfeifenden Kurzwelle nicht halt.