Mittelwelle - blüht im Verborgenen

Mittelwelle - blüht im Verborgenen Mario Gongolsky

„Wir haben keine Frequenzknappheit auf UKW, wir sind nur schlecht organisiert.”

Ein provokante These, finden Sie? Mitnichten. Schon vor Jahren, als der Streit um die ersten UKW-Frequenzen für Privatradios in Deutschland geführt wurde, hatten die Niederländer eine recht patente Lösung im Gepäck. Wortprogramme, deren Klangqualität nun nicht zwingend die HiFi-Norm erreichen muss, wechselten auf Mittelwelle und schafften auf UKW Platz für Musikprogramme.

In ganz seichten Ansätzen gibt es so etwas auch in Deutschland. Die Popwellen der ARD sind normalerweise nicht auf Mittelwelle vertreten, sondern eher die wortlastigen Infowellen. Auch die Bundestagsdebatten kommen nur über die Mittelwellensender. Nur keine Quote für den staatlichen Grundversorgungsauftrag opfern, lautet die Devise. Es geht also nicht um eine geschickte Frequenznutzung, sondern nur um Hörerzahlen. Wann haben Sie die letzte Bundestagsdebatte auf Mittelwelle gehört? Na eben! Die Angst, dass der Hörer auf ein anderes Programm „zappt”, ist einfach zu groß. UKW-Hörer, so weiß man aus Nutzungsanalysen, unternehmen keine Streifzüge durch das Programmangebot. Ein Senderwechsel erfolgt nur etwa zwei Mal die Woche. Ein Hörerverlust wäre schmerzlich und möglicherweise von längerer Dauer.

Nicht gerade sinnvoll auch die Taktik, Autofahrer für Verkehrsnachrichten in voller Länge auf die Mittelwelle zu lotsen, um auf UKW den Programmablauf nicht zu stören. Schließlich sendet manche Privatwelle keine Verkehrs- nachrichten aus und erkämpft sich damit einen geringeren Nervfaktor beim „zu Hause hören”. Das Ausweichen auf Mittelwelle ist also auch hier nicht mehr als eine Schadensbegrenzung für die Quote.

Warum wollen die Infowellen, ob Privatradios oder ARD-Anstalten, nicht auf die Mittelwelle? Ganz klar, aus kommerziellen Gründen verteidigt jeder seine UKW-Frequenzen bis auf das Messer. UKW ist Hörerzahl mal Werbeeinnahme. Dass ein Angebot Nachfrage nach sich ziehen kann, davon hat man zwar schon etwas gehört, aber warum sollte man den riskanten Anfang machen. Hier wäre entgegen zahlreicher anderer Stellen eine staatliche Regulierung heilsam.

Die stiefmütterliche Behandlung der Mittelwelle erzeugt langfristig natürlich weitere Schwierigkeiten. Nach und nach verschwinden mittelwellenfähige Empfangsgeräte aus den Haushalten. Empfänger, die in der Lage sind auf Mittelwelle mehr als nur knattern und pfeifen zu liefern, sind heute schon rar geworden.

Hier hilft nur ein Blick in die Niederlande und nach Großbritannien, denn dort gibt es nach wie vor eine ganz vitale Rundfunklandschaft auf Mittelwelle. Talkradios und Special-Interest-Musikprogramme erobern ihr Publikum per Mittelwelle, um im Erfolgsfall ihr UKW-Sendernetz zu spinnen. Grandios zum Beipiel der Erfolg von „Virgin 1215” in England. Die Behörden wollten den Plattenmulti „Virgin Records” nicht auf UKW lassen. Der Sender trat seinen Siegeszug auf der vermeintlich chancenlosen Mittelwelle an und mischte die Musikredaktionen der altehrwürdigen BBC-Lokalsender auf. Heute ist Virgin aus der Radiolandschaft der Insel nicht mehr wegzudiskutieren. Mit drei Frequenzen konnte die gesamte Insel versorgt werden und die dienen auch heute noch als Füller für zahlreiche unversorgte Gebiete. Auf der Frequenz 1.215 kHz kann das Programm nachts auch in Deutschland gut empfangen werden.

Ein Musiksender auf Mittelwelle? Wie passt das zusammen?

Zugegeben, ein Klangerlebnis ist die analoge Mittelwelle nicht gerade, doch wer genießt den Stereoklang im Badezimmer, in der Küche oder im Büro? Überall wo Radio als akustischer Hintergrund genutzt wird, und dies dürfte auf 80 % der täglichen Hördauer zutreffend sein, kann auch die Mittelwelle reichen, wenn ein ordentlicher Mittelwellenempfänger dafür zur Verfügung steht.

Technische Potenziale

Schon 1993 gab es einen deutschen Vorstoß, der Mittelwelle neues Leben einzuhauchen. Analog zum RDS auf UKW sollte ein AMDS für die Mittelwelle eingeführt werden. Zu den Funktionen zählte die Anzeige des Sendernamens in Klarschrift und der automatische Wechsel auf alternative Sendefrequenzen, wenn der Empfang dort besser ist. In langen praktischen Versuchen, die übrigens durchaus erfolgreich verliefen, wurde das Verfahren geprüft und international als Standard angemeldet.

Doch weder Veranstalter noch Geräteindustrie wollten einen Marktgang wagen. Nachdem die Pläne wieder in der Schublade verschwunden waren, prognostizierten viele Fachleute, dass ein Rettungsversuch für die Mittelwelle zu spät kommen würde. Doch der UKW-Frequenzmangel und die nutzbaren Mittelwellenkapazitäten mit der damit verbundenen Agilität der Mittelwellenszene sprechen eine latent andere Sprache.

Hören Sie Mittelwelle?

Vermutlich nicht. Dann wird es Sie überraschen, dass Rundfunkveranstalter und solche, die es werden wollen, in Deutschland bei den Landesmedienanstalten inzwischen Schlange stehen, um doch noch eine Mittelwellenfrequenz zu bekommen. Im UKW-Bereich ist die Hoffnung eine Frequenz zugeteilt zu bekommen eine völlige Illusion. Die neuen, kleinen Veranstalter wollen offensichtlich das Risiko der Nichtbeachtung eingehen: Lieber auf der Mittelwelle, als gar nicht auf Sendung. Da tröstet man sich zwischenzeitlich mit dem Faktor einer höheren geografischen Reichweite und dem Ausblick, dass mit der Digitalisierung der Mittelwelle goldene Zeiten über die mutigen Mittelwellenveranstalter hereinbrechen werden.

DRM

Nun könnte die Mittelwelle doch noch in den Genuss einer technischen Komplettrenovierung kommen. Das Verfahren, das die Kurzwelle für den weltweiten Radioempfang zukunftsfähig machen soll, kann auch für eine Digitalisierung des Rundfunks auf Mittelwelle sorgen.

Die Rede ist von „Digital Radio Mondiale”, einem digitalen Hörfunkverfahren, dem wir ein eigenes Kapitel gewidmet haben. Mittelwellensignale werden ebenso wie Kurzwellensignale in Amplitudenmodulation ausgestrahlt. Der Sender- beziehungsweise Kanalabstand ist auf Mittelwelle größer als auf der Kurzwelle, was schon heute einen besseren Klang der Mittelwelle im Vergleich zur Kurzwelle ausmacht. Im Digitalverfahren dürfte dieser Klangvorsprung dann erhalten bleiben und die Mittelwelle in die Nähe des heutigen UKW-Rundfunks bringen. Zugleich werden durch die Digitalisierung des abgestrahlten Signals Sendeleistungen und damit Betriebskosten eingespart.

Bis ein solches System europaweit eingeführt ist und ausreichend viele Empfänger verkauft wurden, wird aber sicher noch sehr viel Zeit vergehen.

Mittelwellen-Prognose

Totgesagte leben länger. Die Mittelwelle ist weder tot noch überflüssig. Sie ist nicht nur eine Frequenzreserve, sondern auch ohne Digitalisierung eine durchaus leistungsfähige Alternative zum UKW-Rundfunk. Wenigstens einen ordentlichen Mittelwellenempfänger im Haushalt sollte es geben.

Auf der Suche nach einem geeigneten Empfänger wird man bei hochwertigen Kofferradios fündig. Eine Gerätegattung die nicht gerade zu den Verkaufsschlagern zählt. Markengeräte in der Preislage von etwa 50 Euro sollten hier gute Dienste leisten können. Weiter kommen Weltempfänger in Betracht, doch diese sind deutlich kostspieliger (ab 150 Euro).

Alternativ sollten sich Interessenten auf den vorhandenen (Online-)Märkten nach alten Röhrenradios umsehen. Diese Geräte wurden noch für den Mittelwellenempfang konstruiert, sind fast immer sehr günstig zu haben (5 bis 50 Euro) und funktionieren hervorragend. Oft ist ein solches Gerät auch noch ein Schmuckstück in der Wohnung und bringt durch seine Ergonomie (Beleuchtete Skala, entprechend große und passend angeordnete Drehknöpfe für Lautstärke und Sendersuche sowie dem “Magischen Auge”) auch einen Spaßfaktor beim “Radiodrehen”, also beim Sender suchen.